Als „kritische Infrastrukturen“ (KRITIS) werden Anlagen und Systeme bezeichnet, die von wesentlicher Bedeutung für die Aufrechterhaltung wichtiger gesellschaftlicher Funktionen, der Gesundheit, der Sicherheit und des wirtschaftlichen oder sozialen Wohlergehens der Bevölkerung sind.
Bestimmung kritischer Infrastrukturen
Welche Anlage und Systeme für das gesellschaftliche Zusammenleben eine solche elementare Bedeutung haben, lässt sich aus dem Gesetz über das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) und der darauf beruhenden Verordnung zur Bestimmung Kritischer Infrastrukturen (BSI-KritisV) ableiten. Auch wenn die dortigen Regelungen ihren Ausgangspunkt in der IT-Sicherheit haben, sind sie verallgemeinerungsfähig. Es zählen somit neben den Sektoren Ernährung, Gesundheit, Finanz- und Versicherungswesen, Transport und Verkehr auch die leitungsgebundenen Sektoren Energie, Wasser sowie Informationstechnik und Telekommunikation zu den kritischen Infrastrukturen. Weitere Sektoren wie Staat und Verwaltung sind ebenfalls kritische Infrastrukturen, unterfallen aber nicht dem Anwendungsbereich der vorstehenden Regelungen. Unternehmen, die in den Anwendungsbereich fallen – dies setzt in der Regel voraus, dass über 500.000 Personen durch das Unternehmen versorgt werden – müssen Mindestsicherheitsstandards bei ihrer IT einhalten.
Unabhängig von dem Schwellenwert und den damit verbundenen Anforderungen an die IT-Sicherheit gelten für Unternehmen der kritischen Bereiche spezialgesetzliche Anforderungen. So sind Inhaber von Wasserversorgungsanlagen beispielsweise verpflichtet, Maßnahmenpläne aufzustellen, um eine Trinkwasserversorgung auch dann sicherzustellen, wenn die primäre leitungsgestützte Versorgung unterbrochen ist (§ 16 Abs. 5 TrinkwasserV). Auch sind Unternehmen in diesen Bereichen in die Notfallvorsorgeplanung des Bundes und der Länder eingebunden.
Handlungsempfehlungen für Unternehmen der kritischen Infrastruktur
Für Unternehmen aus dem Bereich der kritischen Infrastruktur hat das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenschutz eine Handlungsempfehlung herausgegeben, wie mit der Corona-Pandemie umzugehen ist. Diese – allgemein gehaltenen – Empfehlungen richten sich zwar primär an die Betreiber kritischer Infrastrukturen, sind aber für alle Betriebe und Unternehmen informativ. Die Handlungsempfehlung wurde zuletzt am 26.03.2020 aktualisiert und kann hier abgerufen werden.
Neben der Handlungsempfehlung findet sich auf der Internetseite weiter das „Handbuch betriebliche Pandemieplanung“. Dieses vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenschutz gemeinsam mit dem Regierungspräsidium Stuttgart herausgebrachte Handbuch enthält Empfehlungen und Checklisten dazu, wie Unternehmen vor, während und im Nachgang zu einer Pandemie vorgehen können.
Aussetzung von Besitzeinweisungsverfahren
Bezogen auf die leitungsgebundene Infrastruktur ist neben dem Erhalt bestehender Leitungen insbesondere der weitere Ausbau der Leitungsnetze erforderlich. Nur durch den Ausbau der Netze lässt sich die eingeleitete Energiewende umsetzen. Der Ausbau wird durch die Corona-Pandemie und die damit verbundenen weitreichenden Kontaktverbote allerdings gefährdet.
So wurden in NRW etwa die mündlichen Verhandlungen in anhängigen Besitzeinweisungsverfahren flächendeckend mit Billigung des zuständigen Innenministeriums ausgesetzt. Dies führt dazu, dass die Vorhabenträger die benötigten Grundstücke nach derzeitigem Stand nicht zu den beantragten Terminen in Anspruch nehmen können, wodurch die rechtzeitige Fertigstellung des Leitungsbauvorhabens in Frage gestellt wird.
Dies ist insoweit problematisch, als es sich bei den Leitungsbauvorhaben, deren Realisierung im Wege des § 44b EnWG durchgesetzt werden soll, regelmäßig um dringliche Leitungsbauvorhaben handelt, bei denen ein sofortiger Beginn der Bauarbeiten geboten ist. Grundlage für den sofortigen Baubeginn ist dabei der Bauzeitenplan des Vorhabenträgers, der auch mit Blick auf die sicherzustellende Versorgung aufgestellt wird. Für die derzeit flächendeckend praktizierte Aussetzung der Besitzeinweisungsverfahren fehlt es im Verwaltungsverfahrensrecht an einer rechtlichen Grundlage. Ob ein Verfahren aus sachlichen Gründen im Einzelfall vorübergehend ausgesetzt werden kann, muss die Behörde jeweils unter Würdigung aller schützenswerten Interessen der Beteiligten nach pflichtgemäßem Ermessen ermitteln. Die damit gebotene Abwägung kann allenfalls für kurze Zeiträume zu einer Aussetzung des jeweiligen Verfahrens führen. Denn die Besitzeinweisungsverfahren dienen im Ergebnis der Sicherstellung der Versorgungssicherheit im Bereich der kritischen Infrastrukturen. Sofern zeitnah keine Rückkehr zu einer – zur Wahrung des rechtlichen Gehörs des Betroffenen an sich gesetzlich gebotenen – mündlichen Verhandlung möglich ist, erscheint es daher zwingend, dass alternative Verhandlungsformen (schriftliches Verfahren, Videokonferenzen) durchgeführt werden. Alternative Verhandlungsformen sind durch den Gesetzgeber schnellstmöglich abzusichern, um so die Rechtssicherheit zu schaffen, die die Vorhabenträger für den Ausbau der leitungsgebundenen kritischen Infrastrukturen benötigen.
Öffentlichkeitsbeteiligung im Genehmigungsverfahren
Auch auf Infrastrukturvorhaben, die noch in der Genehmigungsphase sind, hat die Corona-Pandemie negative Auswirkungen. Infrastrukturvorhaben müssen regelmäßig ein Planfeststellungsverfahren durchlaufen, das als zwingenden Verfahrensschritt eine Öffentlichkeitsbeteiligung vorsieht. Erfolgt die Öffentlichkeitsbeteiligung nicht oder nur unzureichend, ist eine dennoch erteilte Genehmigung rechtswidrig.
Die Öffentlichkeitsbeteiligung erfolgt faktisch dadurch, dass die Planunterlagen in den Rathäusern der betroffenen Gemeinden zur Einsicht ausgelegt werden. Dieses Vorgehen ist nun problematisch, da wegen der Corona-Pandemie zunehmend Rathäuser vollständig schließen bzw. den Publikumsverkehr erheblich einschränken. Es ist daher fraglich, ob eine ausreichende Öffentlichkeitsbeteiligung erfolgt, wenn der Zugang zu den Planunterlagen coronabedingt nicht oder nur eingeschränkt (etwa durch eine Limitierung der Personen, die zeitgleich im Raum sein dürfen) durch möglich ist. Eine Vorschrift, die für Sondersituationen eine Ausnahme von der Öffentlichkeitsbeteiligung zulässt, existiert jedenfalls nicht.
Bei allen denkbaren Lösungsansätzen (beispielsweise ausschließliche Offenlegung über das Internet, Auslegung durch den Vorhabenträger in öffentlich zugänglichen Räumen außerhalb des Rathauses) verbleibt eine Rechtsunsicherheit. Beseitigen kann und muss diese Rechtsunsicherheit der Gesetzgeber. Anderenfalls ist zu befürchten, dass der für die Versorgungssicherheit zwingend erforderlich Ausbau der leitungsgebundenen Infrastrukturen erheblich ins Stocken gerät.