Die Grundlagen der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall sind wohl jedem Arbeitgeber und jedem Arbeitnehmer bekannt:
Entgeltfortzahlung wird für die Dauer von sechs Wochen geschuldet. Wird ein Arbeitnehmer aufgrund derselben Krankheit erneut arbeitsunfähig, so werden die Zeiträume zusammengerechnet, also maximal 6 Wochen für dieselbe Erkrankung gezahlt. Ein neuer Anspruch entsteht nur, wenn eine Unterbrechung von mindestens sechs Monaten vorlag, dieselbe Krankheit also sechs Monate lang nicht mehr zur Arbeitsunfähigkeit geführt hat, oder seit Beginn der ersten Arbeitsunfähigkeit mindestens zwölf Monate verstrichen sind.
In der Regel bescheinigt der Arzt diese Fortsetzungserkrankung. Wechselt der Arbeitnehmer den Arzt oder wird er zwischenzeitlich – vorübergehend - arbeitsfähig, dann stellt der behandelnde Arzt aber in der Regel erneut eine Erstbescheinigung aus. Für den Arbeitgeber ist dann schwer zu überprüfen, ob eine Zusammenrechnung erfolgt.
Er hat die Möglichkeit, den Zusammenhang durch Anfrage bei der Krankenversicherung des Arbeitnehmers zu erfragen. Auf diese Auskunft muss er sich aber nicht verlassen, wie das BAG in seinem Urteil vom 18.1.2023 entschieden hat:
Der Fall:
Ein Arbeitnehmer war im Zeitraum vom 24.08.2019 bis 18.08.2020 an insgesamt 110 Kalendertagen arbeitsunfähig erkrankt. Die Parteien stritten nun über Entgeltfortzahlung für 10 Arbeitstage im Zeitraum vom 18.08.2020 bis 23.09.2020. Der Arbeitnehmer legte zwar Erstbescheinigungen vor und trug die Diagnosen vor, machte aber nur Angaben zu Vorerkrankungen, die nach seiner Einschätzung auf denselben Diagnosen beruhten. Die Offenlegung sämtlicher Erkrankungen lehnte er ab.
Die Entscheidung:
Das BAG wies seine Klage ab.
Zwar müsse der Arbeitnehmer zunächst nur seine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegen, um Entgeltfortzahlung zu erhalten. Bestreitet der Arbeitgeber, dass eine neue Erkrankung vorliegt, dann muss der Arbeitnehmer aber bezogen auf den gesamten maßgeblichen Jahreszeitraum schildern, welche gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Beschwerden mit welchen Auswirkungen auf seine Arbeitsfähigkeit bestanden haben, und die behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbinden. Erst dann sei dem Arbeitgeber substantiierter Sachvortrag möglich und erst dann könne der Arbeitgeber gegebenenfalls durch Sachverständigenbeweis nachweisen, dass eine Fortsetzungserkrankung vorlag und keine Entgeltfortzahlung zu leisten ist.
Interessant ist die Begründung, weshalb dem BAG die Auskunft der Krankenversicherung nicht ausreicht: Es verweist ausdrücklich darauf, dass die Krankenkassen wegen ihrer unmittelbar betroffenen finanziellen Interessen nicht als unparteiische Dritte angesehen werden könnten. Wird die Entgeltfortzahlung verneint, müssen sie nämlich Krankengeld zahlen. Vor diesem Hintergrund habe die Mitteilung der Krankenkasse keinen mit einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vergleichbaren Beweiswert
Außerdem weist das BAG ausdrücklich darauf hin, dass allein Diagnoseschlüssel keine ausreichende Informationsgrundlage seien, weil eine Fortsetzungserkrankung nicht nur bei einem identischen Krankheitsbild vorliegt, sondern auch, wenn die Krankheitssymptome auf demselben Grundleiden beruhen. Es sind also umfassendere Auskünfte notwendig.
Die Konsequenzen:
Gerade bei Arbeitnehmern, die immer wieder mit neuen Erstbescheinigungen fehlen und noch dazu häufig ihre behandelnden Ärzte wechseln, sollte überlegt werden, ob auf die Auskunft der Krankenkasse vertraut werden kann und soll. Falls Bedenken bestehen, kann der Arbeitnehmer zu einem konkreten Vortrag aufgefordert werden.
Allerdings ist zu bedenken, dass diese Auskunft nur selten zu einem eindeutigen Ergebnis führen wird. Wird die Entgeltfortzahlung im Hinblick auf die Auskunft – oder ihr Ausbleiben – verweigert, ist mit einer Klage zu rechnen. Dann muss ggfs. durch Auskunft der behandelnden Ärzte oder Sachverständige geklärt werden, ob die Fehlzeiten auf demselben Grundleiden bestehen – und medizinische Gutachten brauchen Zeit und kosten unter Umständen mehr, als die streitige Entgeltfortzahlung.