BGH, Urteil v. 30.11.1978 - III ZR 43/77

Arbeitsvertragsgestaltung: Pflicht zur Entgeltzahlung trotz Quarantäne?

Fachbeitrag
Arbeitsrecht

Normalerweise spielen im Arbeitsrecht Urteile aus den siebziger Jahren keine Rolle mehr - viel zu sehr haben sich die Wertevorstellungen in der Zwischenzeit geändert. Die Corona-Pandemie hat aber einem Urteil des BGH aus dem Jahr 1978 zu einem ungeahnten Revival verholfen:

Zwei Gesellen einer Metzgerei wurden als Ausscheider von Salmonellen mit einem Beschäftigungsverbot belegt. Der Arbeitgeber verlangte nach dem damals einschlägigen Bundesseuchengesetz einen Ausgleich der durch ihn für diesen Zeitraum gezahlten Vergütung. Der BGH verwies den Rechtsstreit für weitere Aufklärungen an das OLG zurück, wies aber in seinem Urteil bereits darauf hin, dass der Arbeitgeber wohl gemäß § 616 BGB verpflichtet gewesen sei, die Vergütung weiter zu zahlen, so dass kein Anspruch auf Erstattung nach dem Bundesseuchengesetz bestünde. Nach dieser Vorschrift entfällt die Lohnzahlungspflicht nicht, wenn der Arbeitnehmer aus einem in seiner Person liegenden Grund für eine verhältnismäßig geringe Zeit an der Ausübung der Arbeit gehindert ist. Klassischer Fall sind der Tod eines nahen Angehörigen, die eigene Hochzeit oder die Wahrnehmung von nicht verschiebbaren Arztterminen. Auch die Anordnung eines Beschäftigungsverbotes aufgrund einer ansteckenden Erkrankung könnte darunter fallen. Fraglich war vor allem, ob das Beschäftigungsverbot für einen „verhältnismäßig geringen Zeitraum“ bestand. Laut BGH könnten 6 Wochen in diesem Fall noch eine verhältnismäßig geringe Zeit darstellen, weil er dem Wesen nach einer Verhinderung wegen Arbeitsunfähigkeit nahe stünde. Das OLG müsse nun abwägen, ob die Vergütung unter Berücksichtigung der Dauer des Arbeitsverhältnisses, seine Eigenart und des Verhinderungsgrunds vom Arbeitgeber zu tragen sei.

Mit Verweis auf dieses Urteil lehnen die zuständigen Behörden vermehrt bei Quarantäne von Arbeitnehmern eine Entschädigung nach dem Infektionsschutzgesetz ab, weil die Dauer der Quarantäne von meist zwei Wochen nur eine verhältnismäßig kurze Zeit sei und der Arbeitgeber daher zur Entgeltfortzahlung verpflichtet sei.

Ob diese Entscheidung heute noch bestätigt werden wird, ist äußerst fraglich. Der BGH argumentierte unter anderem, dass es nicht Ziel des Bundesseuchengesetzes sei, solche Kosten auf die Allgemeinheit abzuwälzen. Das wird man aus heutiger Sicht wohl nicht mehr so sagen.

Praxistipp

Tipp 1

Auch wenn eine Klage nach unserer Einschätzung durchaus Aussicht auf Erfolg hat, gibt es einen einfacheren Weg, das Problem zu vermeiden: Wenn die Entgeltfortzahlungspflicht nach § 616 BGB im Arbeitsvertrag ausgeschlossen wurde, besteht der Anspruch auf Erstattung nach dem Infektionsschutzgesetz. Allerdings ist Vorsicht geboten, weil teilweise vertreten wird, dass nach AGB-Recht ein allgemeiner Ausschluss der Entgeltfortzahlung ohne Differenzierung unbillig und daher unwirksam ist.

Die aktuelle Situation gibt jedenfalls Anlass, die Arbeitsverträge einer Überarbeitung zu unterziehen.

Tipp 2

Der Arbeitgeber hatte aufgrund der Beschäftigungsverbote seine Betriebsferien um zwei Wochen verlängert. Auch deshalb hatte die Behörde die Erstattung abgelehnt. Dem ist der BGH aber entgegengetreten – da die beiden betroffenen Arbeitnehmer aufgrund der behördlichen Anordnungen praktisch das Haus nicht verlassen konnten, sei der Erholungszweck nicht gewährleistet, so dass ihr Urlaubsanspruch nicht erloschen sei. Auch das würden Arbeitsgerichte heute anders sehen – vorausgesetzt, dass die Betriebsferien rechtlich wirksam, etwa durch Betriebsvereinbarung, angesetzt wurden.

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