Sachverhalt: In einem sog. Open House Verfahren hat das Bundesministerium für Gesundheit in der Frühphase der COVID-19-Pandemie Schutzausrüstung, insbesondere Schutzmasken, beschafft. Einen Anspruch auf den Abschluss eines Liefervertrages von mindestens 25.000 Masken zu einem fixen Preis sollten die Unternehmen erhalten, welche die aufgestellten Bedingungen erfüllen konnten. Unerwartet nahm eine Vielzahl an Unternehmen teil, sodass mehr als 700 Verträge geschlossen wurden. Da die Abwicklung dieser Verträge aus personellen Gründen nicht durch das Gesundheitsministerium selbst gestemmt werden konnte, schloss das Ministerium in einem Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb einen Vertrag über die „Durchführung des operativen Geschäfts unterhalb des Beschaffungsstabs bei der Durchführung der Verträge über die Beschaffung von Schutzausrüstungen“ ab. Es ging dabei vorrangig um die technische Vertragsprüfung, die Qualitätssicherung, das Vertragsmanagement, die Steuerung der gesamten Lieferkette und der Logistikdienstleister, die Überprüfung von Eingangsrechnungen und die Bearbeitung der Leistungsstörungen. Eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft erhielt den Auftrag mit einem Volumen von 9,5 Mio. Euro, weil der Auftraggeber sie aufgrund ihrer Vorerfahrungen als einziges Unternehmen in der Lage sah, ohne Vorlauf diese Aufgabe von einem auf den anderen Tag zu übernehmen. Nach Bekanntmachung der vergebenen Aufträge rügte eine Anwaltskanzlei mit Schreiben vom 17.06.2020 die Auftragsvergabe. Sodann erhob sie zusammen mit einer Steuerberatungsgesellschaft einen Nachprüfungsantrag mit dem Ziel festzustellen, dass der geschlossene Vertrag über die „Durchführung des operativen Geschäfts unterhalb des Beschaffungsstabs bei der Durchführung der Verträge über die Beschaffung von Schutzausrüstungen“ unwirksam sei.
Entscheidung
Ohne Erfolg! Der Nachprüfungsantrag ist zwar zulässig, aber unbegründet.
Das Gesundheitsministerium handelte vergaberechtskonform, als es ohne vorherige europaweite Bekanntmachung einen Auftrag über die Durchführung der Verträge über die Beschaffung von Schutzausrüstung erteilte, da es aufgrund der tatbestandlichen Ausnahme des § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV gestattet war.
Der öffentliche Auftraggeber kann Aufträge im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb vergeben, wenn dringliche, zwingende Gründe im Zusammenhang mit Ereignissen, die der betreffende öffentliche Auftraggeber nicht voraussehen konnte, es nicht zulassen, die Mindestfristen einzuhalten, die für das offene und das nicht offene Verfahren sowie für das Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb vorgeschrieben sind. Die Umstände zur Begründung der äußersten Dringlichkeit dürfen dem öffentlichen Auftraggeber nicht zuzurechnen sein, § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV.
Die COVID-19-Pandemie stellt nach Auffassung der VK Bund unstreitig ein Ereignis dar, das die Einhaltung von Mindestfristen für vorrangige Vergabeverfahrensarten nicht zulässt. Nicht nur der Kauf von Schutzausrüstung im Wege des Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb sei durch eben diesen äußerst dringlichen und zwingenden Grund gerechtfertigt, sondern auch die hierfür erforderlichen Abwicklungsarbeiten. Ferner müssten im Verhandlungsverfahren nicht in jedem Fall Verhandlungen stattfinden, sodass eine Zuschlagserteilung auf Grundlage des Erstangebots erfolgen kann.
Hätte das Gesundheitsministerium Anfang Mai 2020 ein Vergabeverfahren mit verkürzten Fristen durchgeführt, so wäre die Auslieferung der Schutzmasken erheblich verzögert worden, was im Hinblick auf hochrangige Schutzrechte wie die Gesundheit unverantwortlich gewesen wäre.
VK Bund, Beschluss vom 28.08.2020, VK 2-57/20