Dieses Umstands sind sich auch die hiesigen Gerichte bewusst, die in ihrer Rechtsprechung oft den sog. doppelten Anscheinsbeweis bemühen. Originär muss der Geschädigte vor Gericht darlegen, dass er durch eine Handlung des Kartellanten einen Schaden erlitten hat. Der doppelte Anscheinsbeweis sorgt demgegenüber für eine faktische Beweislastumkehr: Es könne nach allgemeiner Lebenserfahrung davon ausgegangen werden, dass Kunden eines Kartells von diesem betroffen waren und der Kunde dadurch einen Schaden erlitten hat. Der beklagte Kartellant muss also beweisen, dass der in jeweils in Rede stehende Erwerbsvorgang nicht von dem Kartell betroffen war.
Einem pauschalen Rückgriff auf diese sehr klägerfreundliche Methode hat der BGH in seinem Urteil vom 11.12.2018 nun in einer Entscheidung zum sog. Schienenkartell einen Riegel vorgeschoben und klargestellt, dass nach wie vor entscheidend auf die Umstände des Einzelfalls abgestellt werden müsse. Ob ein Preis tatsächlich auf die erfolgreiche Wettbewerbsbeschränkung durch ein Kartell zurückzuführen ist, hängt von unterschiedlichen Faktoren im Hinblick auf den betroffenen Markt (Anzahl der Marktteilnehmer, Ausweichmöglichkeiten der Marktgegenseite) sowie das betroffene Kartell (Zahl der Beteiligten, Grad der Marktabdeckung, Kartelldisziplin, Möglichkeiten des Informationsaustauschs) ab. So bestehe selbst bei sog. Hardcore-Kartellen, wie Quoten- oder Kundenschutzkartellen, beispielsweise keine allgemeine Lebenserfahrung dahingehend, dass Kartellbeteiligte sich stets an sämtliche Absprachen halten und dadurch eine Preissteigerung bewirken. Der Schaden des Klägers müsse somit individuell nachgewiesen werden.
Wird jedoch dargelegt, dass ein stabil funktionierendes Kartell über einen langen Zeitraum hinweg konstant Absprachen getroffen hat, besteht aus Sicht des BGH eine tatsächliche Vermutung für eine preissteigernde Wirkung. Diese habe jedoch nur indizielle Bedeutung im Rahmen der umfassenden richterlichen Beweiswürdigung und führe, anders als ein Anscheinsbeweis, nicht zu einer Beweislastumkehr, sondern nur zu einer Beweiserleichterung.
Auch in anderen Bereichen des Kartellrechts, etwa der Preisschirmeffekte, wurde die Anwendung einer Beweiserleichterung von der Auswertung des ökonomischen Umfelds abhängig gemacht. Das Urteil fügt sich vor diesem Hintergrund kohärent in das System des Kartellrechts ein. Daneben forciert die Entscheidung die Ökonomisierung des Kartellrechts, indem sie den Fokus verstärkt auf unterschiedliche wirtschaftliche Kriterien legt. Dies könnte u. U. das Erfordernis ökonomischer Gutachten in kartellrechtlichen Schadensersatzprozessen nochmalig steigern. Jedoch würde dies für die Kläger, die ohnehin bereits erhebliche prozessuale Risiken eingehen und Kosten vorschießen müssen, eine zusätzliche finanzielle Belastung mit sich bringen. Manche werden darin eine Bestätigung der – derzeit diskutierten – Notwendigkeit der Einführung von Instrumenten kollektiven Rechtsschutzes auch im Kartellrecht sehen.