1. Sachverhalt
Der EuGH hatte jüngst in einem Vorabentscheidungsverfahren über die Auslegung von Art. 57 Abs. 4 der Richtlinie 2014/14/24 zu entscheiden.
Die zentrale Beschaffungsstelle der italienischen Verwaltung schrieb im Offenen Verfahren die Vergabe eines Systems für optische Kommunikation namens „Wavelength Division Multiplexing (WDM)“ für die Zusammenschaltung des Datenverarbeitungszentrums mehrerer Abteilungen des Ministeriums für Wirtschaft und Finanzen in Form eines Lieferauftrags aus.
Bieter B gab ein Angebot ab und benannte drei Unterauftragnehmer. Bei der Angebotsprüfung fiel auf, dass einer der benannten Unterauftragnehmer die Vorschriften über das Recht von Menschen mit Behinderungen auf Arbeit missachtete.
Dies nahm die Beschaffungsstelle zum Anlass, um auf der Grundlage des geltenden italienischen Rechts gemäß Art. 80 Abs. 5 lit. i CCP den Bieter B vom Vergabeverfahren auszuschließen.
Zentrale Frage des Vorabentscheidungsverfahrens war, ob Art. 80 Abs. 5 lit. i CCP, der einen automatischen Ausschluss eines Bieters erlaubt, dessen Unterauftragnehmer einen fakultativen Ausschlussgrund verwirklicht, mit Art. 57 Abs. 4 und 5 und Art. 71 Abs. 6 lit. b der Richtlinie 2014/24 vereinbar ist.
2. Entscheidung
Eine solche Vorschrift verstößt gegen den vergaberechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Der EuGH weist zu nächst daraufhin, dass den Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Anwendung von fakultativen Ausschlussgründen gemäß Art. 57 Abs. 4 lit. a der Richtlinie 2014/24 ein Ermessenspielraum zukommt. Art. 57 Abs. 4 lit. a der Richtlinie 2014/24 regelt den fakultativen Ausschluss von Wirtschaftsteilnehmern, die gegen die geltenden umwelt-, sozial- und arbeitsrechtlichen Verpflichtungen verstoßen haben.
Gemäß Art. 18 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24 treffen die Mitgliedstaaten geeignete Maßnahmen, um dafür zu sorgen, dass die Wirtschaftsteilnehmer bei der Ausführung öffentlicher Aufträge die geltenden umwelt-, sozial- und arbeitsrechtlichen Verpflichtungen einhalten, die durch Rechtsvorschriften der Union, einzelstaatliche Rechtsvorschriften, Tarifverträge oder die in Anhang X aufgeführten internationalen umwelt-, sozial- und arbeitsrechtlichen Vorschriften festgelegt sind.
Die in Rede stehende italienische Vorschrift sieht einen generellen und automatischen Ausschluss eines Wirtschaftsteilnehmers vor, wenn auf Seiten des im Angebot benannten Unterauftragnehmers ein Verstoß gegen umwelt-, sozialund arbeitsrechtlichen Verpflichtungen zu verzeichnen ist und zwar unabhängig von den Umständen, die diesem Verstoß zugrunde lagen.
Eine solche Vorschrift verstößt jedoch gegen den vergaberechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Der Verstoß folgt aus dem Umstand, dass der Wirtschaftsteilnehmer für jeglichen Verstoß seines Unterauftragnehmers automatisch zur Rechenschaft gezogen werden muss, ohne dem öffentlichen Auftraggeber die Möglichkeit einzuräumen, die besonderen Umstände des Einzelfalls zu würdigen, indem er den Sachverhalt aufklärt und ggf. die Ersetzung des Unterauftragnehmers fordert.
Mithin ist die nationale Vorschrift, welche den automatischen Ausschluss eines Wirtschaftsteilnehmers wegen des Vorliegens eines fakultativen Ausschlussgrundes auf Seiten seines Unterauftragnehmers nach sich zieht, mit Art. 57 Abs. 4 und 6 der Richtlinie 2014/24 und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unvereinbar. Dies vor allem deshalb, weil der Wirtschaftsteilnehmer nicht zu dem Ausschlussgrund befragt wird und der öffentliche Auftraggeber nicht die Möglichkeit hat, sein ihm zustehendes Ermessen auszuüben (vgl. entsprechend Urteil vom 26. September 2019, Vitali, C-63/18).