Aktuelles zu Corona

UPDATE Vergabe- und Vertragsrecht | März 2020

Fachbeitrag
Kartellrecht, Vergaberecht und Beihilferecht

Die Covid-19-Pandemie – Vergaberecht im Ausnahmezustand

I. Einleitung
„Das Coronavirus breitet sich weiter mit Besorgnis erregender Geschwindigkeit in unserem Land aus.“

Mit diesen einleitenden Worten appellierte die Bundeskanzlerin Angela Merkel am Sonntag in einer TV-Ansprache erneut an die Vernunft der Bevölkerung. Für die Bewältigung der Corona-Krise sei es notwendig, das öffentliche Leben soweit es geht herunterzufahren.

Die hierzu ergriffenen drastischen Maßnahmen der Bundesregierung und der Länder, die tagtäglich geprüft, durchdacht, erweitert und korrigiert werden müssen, haben unsere Gesellschaft in den weitesten Teilen zum Stillstand gebracht. Viele Wirtschaftsbereiche verzeichnen große und existenzbedrohende Umsatzeinbußen. Auch das öffentliche Beschaffungswesen steht vor besonderen Herausforderungen: Damit die Maßnahmen der Bundesregierung greifen, ist es essentiell, dass

  1. die Verwaltung handlungsfähig bleibt,
  2. der Gesundheitsbereich schnellst- und bestmöglich ausgerüstet wird und
  3. finanzielle Hilfen (Wiederbelebung der Konjunktur in Zukunft) zügig in der Wirtschaft ankommen.

 

II. Das Rundschreiben des BMWi vom 19.03.2020 zur Anwendung des Vergaberechts im Zusammenhang mit der Beschaffung von Leistungen zur Eindämmung der Ausbreitung von SARS-CoV-2

Um Rechtsunsicherheiten und damit zeitliche Verzögerungen im Beschaffungswesen zu beseitigen, hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) mit Rundschreiben vom 19.03.2020 allen Beschaffungsebenen auf Bundes-, Länder- und Kommunalebene eine erläuternde Handreichung zur Nutzung vergaberechtlicher Beschleunigungsinstrumente zur Verfügung gestellt. Das Rundschreiben können Sie hier herunterladen.

Das BMWi nimmt Bezug auf die Mitteilung der EU-Kommission vom 09.09.2015 zu den Vorschriften für die öffentliche Auftragsvergabe im Zusammenhang mit der Flüchtlingsproblematik (COM (2015) 454 final). Diese Mitteilung gab öffentlichen Beschaffern in jüngerer Vergangenheit ebenfalls in einer sehr angespannten Situation einen Überblick über die Möglichkeiten, Infrastruktur und die Lieferungen von Waren und Dienstleistungen für den dringenden Bedarf schnell zu beschaffen. Die Mitteilung der EU-Kommission vom 09.09.2015, COM(2015) 454 final, finden Sie hier.

1. Beschleunigte Vergabeverfahren im Oberschwellenbereich

Das BMWi macht auf die Möglichkeiten aufmerksam, bei Beschaffungen im Kampf gegen das neuartige Coronavirus im Oberschwellenbereich (für Liefer- und Dienstleistungen der obersten Bundesbehörden ab 139.000,- € netto; ansonsten ab 214.000,- € netto) das Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb wählen zu können, weil äußerst dringliche zwingende Gründe vorliegen, und die damit verbundenen Fristverkürzungspotenziale bis hin zu 0 Tagen zu nutzen, §§ 14 Abs. 4 Nr. 3 ,17 Abs. 8 VgV.

Dabei begrenzt das BMWi die Anwendbarkeit solch umfassender Verfahrenserleichterungen allerdings auf den Einkauf von Leistungen, die der Eindämmung und kurzfristigen Bewältigung der Corona-Epidemie und / oder der Aufrechterhaltung des Dienstbetriebs der öffentlichen Verwaltung dienen. Beispielhaft nennt es folgende Warengruppen:

  • Heil- und Hilfsmittel wie etwa Desinfektionsmittel, Einmalhandschuhe, Masken, Schutzkittel, Verbandsmaterialien, Tupfer, Bauchtücher,
  • medizinisches Gerät wie etwa Beatmungsgeräte
  • sowie in diesen Krisenzeiten notwendige Leistungen wie etwa mobiles IT-Gerät z.B. zur Einrichtung von Homeoffice-Arbeitsplätzen, Videokonferenztechnik und IT-Leitungskapazitäten.

Die Aufzählung ist jedoch nicht abschließend zu verstehen.

Neben dem Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb besteht infolge begründeter Dringlichkeit die Möglichkeit ein offenes oder nicht offenes Vergabeverfahren mit verkürzten Fristen durchzuführen, § 15 Abs. 3 VgV und § 16 Abs. 3 und 7 VgV. Der öffentliche Auftraggeber wird stets einzelfallabhängig entscheiden müssen, auf Grundlage welcher Verfahrensart und unter Anwendung welcher Fristen er seinen Beschaffungsbedarf angemessen und effizient beschafft. Wie stets bedarf die Inanspruchnahme von Ausnahmetatbeständen einer entsprechend fundierten und nachvollziehbaren Begründung im Vergabevermerk. Der Verweis auf die detaillierten Ausführungen des BMWi-Rundschreibens zur Ergänzung der eigenen und einzelfallgetragenen Begründungen sollte als Arbeitserleichterung und Absicherung der Dokumentation genutzt werden.

2. Vergaben nach der SektVO und der VSVgV

Auf Vergaben im Bereich Verkehr, Trinkwasser- und Energieversorgung (Sektoren) und im Bereich Verteidigung und Sicherheit (VSVgV) sind die Ausführungen des BMWi zur Rechtfertigung der Unvorhersehbarkeit einer Pandemie, der damit verbundenen Dringlichkeit der Beschaffungen bestimmter Leistungsgruppen sowie des kausalen Zusammenhangs zwischen dem unvorhergesehenen Ereignis der Coronakrise und der Unmöglichkeit, in dieser Situation die Fristen anderer Vergabeverfahren einzuhalten, übertragbar. Rechtsgrundlagen sind insoweit § 13 Abs. 2 Nr. 4 SektVO einerseits und § 12 Abs. 1 Nr. 1 b) VSVgV andererseits.

3. Grundsatz: Drei Angebote – aber Direktabfrage möglich

Trotz der hochgradigen Dringlichkeit der zu beschaffenden Gegenstände empfiehlt das BMWi mit Blick auf eine effiziente Verwendung von Haushaltsmitteln auch in der Krise nach Möglichkeit mehrere Unternehmen zur Angebotsabgabe aufzufordern. Allerdings rechtfertigt die aktuelle Situation auch die Ansprache von nur einem Unternehmen, wenn nur ein Unternehmen in der Lage sein wird, den Auftrag unter den durch die zwingende Dringlichkeit auferlegten technischen und zeitlichen Zwängen zu erfüllen (vgl. Mitteilung der Europäischen Kommission vom 09.09.2015 zur Flüchtlingsthematik).

4. Beschleunigte Vergabeverfahren im Unterschwellenbereich

Für Unterschwellenvergaben macht das BMWi auf die parallelen Verfahrensvereinfachungsmöglichkeiten zur VgV in der UVgO (§ 8 Abs. 4 Nr. 9 und § 12 Abs. 3 UVgO) aufmerksam, also Bestandsregelungen, die jetzt sofort nutzbar sind.

Im Übrigen sind weitergehende Erleichterungen durch das Landesvergaberecht im Unterschwellenbereich möglich. § 8 Abs. 4 Nr. 17 UVgO öffnet die Tür für eine erleichterte Verfahrenswahl der Verhandlungsvergabe mit und ohne Teilnahmewettbewerb bis zu bestimmten Wertgrenzen, deren Anpassung aktuell in mehreren Ländern diskutiert wird. Den Ländern steht es darüber hinaus – worauf auch das BMWi verweist – als Ultima Ratio und unbeschadet anderweitiger haushaltsrechtlicher Vorgaben grundsätzlich frei, die Anwendung bestimmter Regeln der UVgO in bestimmten Bereichen insgesamt auszusetzen.

Als Wegbereiter verkündete am 18.03.2020 das Niedersächsische Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung eine Ausführungsbestimmung zu § 8 Abs. 4 Nr. 17 UVgO, wonach in Niedersachsen alle Unterschwellenvergaben im Liefer- und Dienstleistungsbereich im Wege der Verhandlungsvergabe mit oder ohne Teilnahmewettbewerb durchgeführt werden können, wenn sie vor dem 31.05.2020 begonnen werden (vorläufige Befristung). Diese Ausführungsbestimmung ist auf Liefer- und Dienstleistungen begrenzt und umfasst keine Aufträge über Bauleistungen. Zudem können ausweislich eines Hinweises des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport vom 19.03.2020 im Anwendungsbereich bzw. in Abweichung der Richtlinien nach § 28 Absatz 2 Satz 1 Kommunalhaushaltsund -kassenverordnung (KomHKVO) Kommunen für in der Corona-Krise begründete Beschaffungen von Liefer- und Dienstleistungen, insbesondere für Leistungen von besonderer Dringlichkeit, abweichend von § 14 UVgO die Wertgrenze für Direktaufträge bis auf weiteres in eigener Zuständigkeit und Verantwortung festlegen. Die Regelungen des Niedersächsischen Tariftreue- und Vergabegesetzes bleiben unberührt.

Auch in NRW wird ein Gemeinsamer Runderlass des Finanzministeriums, des Ministeriums für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk, des Ministeriums für Inneres und Kommunales sowie des Ministeriums Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr nach dem Vorbild des Gemeinsamen Runderlasses vom 06.08.2015 zur Versorgung und Betreuung von Flüchtlingen aus 2015 (den Sie hier herunterladen können) nicht mehr lange auf sich warten lassen. Das Kommunalministerium arbeitet zudem an einem Erlass für die Kommunen. Die Ressorts sind hierzu aktuell noch in der Abstimmung.

5. Auftragsänderung während der Vertragslaufzeit

Für bereits bestehende Verträge verweist das BMWi ausdrücklich auf die zulässigen Auftragsänderungsmöglichkeiten während der Vertragslaufzeit nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 GWB. Die Corona-Pandemie erfüllt ausweislich der Darlegungen des BMWi das Erfordernis der Unvorhersehbarkeit. Eine Änderung des Gesamtcharakters eines Auftrags liegt der Argumentation des BMWi zufolge jedenfalls dann nicht vor, wenn lediglich Liefermengen erhöht oder ein bestehender Liefervertrag über bestimmte medizinische Hilfsmittel um weitere Gegenstände ergänzt wird, die dem gleichen oder einem ähnlichen Zweck gelten. Zu beachten ist bei solchen Auftragsänderungen im Oberschwellenverfahren das Erfordernis der Ex-post-Bekanntmachung nach § 132 Abs. 5 GWB.

6. Bindungswirkung des BMWi Rundschreibens

Das BMWi-Rundschreiben weist auf gesetzlich und verordnungsrechtlich bestehende Instrumente hin und bedarf daher keiner gesetzlichen Umsetzung. Es gibt aber Interpretations- und Auslegungshilfen zur Subsumtion der aktuell durch Corona bedingten Situation, beispielsweise unter die Ausnahmetatbestände der Dringlichkeit und Unvorhersehbarkeit. Es befürwortet die Inanspruchnahme von Fristverkürzungsmöglichkeiten sowie der Auftragserweiterungstatbestände für Beschaffungsmaßnahmen, die der Eindämmung der Corona-Epedemie und / oder der Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung dienen. Das Schreiben gibt damit vergaberechtlich gebundenen Auftraggebern größere Rechtssicherheit bei ihrem Rückgriff auf solche Ausnahmetatbestände. Sie sollten im Vergabevermerk auf das BMWi-Schreiben Bezug nehmen und es als Anlage zu der Vergabedokumentation hinzunehmen.

III. Einfluss von Covid-19 auf die Leistungspflichten von laufenden Verträgen – höhere Gewalt (Force Majeure)

Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) hat am 23.03.2020 zu bauvertraglichen Fragen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie einen Erlass erteilt, den Sie hier herunterladen können. Er gibt wertvolle Hinweise zum Umgang mit der Berufung auf höhere Gewalt seitens des Auftragnehmers wie des Auftraggebers (z.B. kein Annahmeverzug) im Baubereich. Das BMI empfiehlt zudem, die Baustellen des Bundes möglichst weiter zu betreiben und Baumaßnahmen erst einzustellen, wenn behördliche Maßnahmen dazu zwingen. Der Prüfung und Begleichung von Rechnungen wird in der jetzigen Situation ein besonders hoher Stellenwert beigemessen und auf die Möglichkeit, gegen Bürgschaftsleistung des Auftragnehmers Vorauszahlungen zu leisten (§ 16 Abs. 2 Nr. 1 VOB/B) ausdrücklich hingewiesen.

Unabhängig vom Baubereich stellt sich ganz generell für laufende Vertragsbeziehungen mit Blick auf die Covid-19-Pandemie die Frage, ob sich die Vertragsparteien auf einen Fall der höheren Gewalt berufen können, wenn die Pandemie Auswirkungen auf die vertraglichen Leistungspflichten hat und welche Rechtsfolgen sich daraus ergeben können.

1. Force Majeure-Klausel im Vertrag

Im ersten Schritt ist die vertragliche Vereinbarung im jeweiligen Einzelfall zu analysieren. Hier stellen sich insbesondere folgende Fragen: (1.) Enthält der betroffene Vertrag eine Klausel zu höherer Gewalt? (2.) Kann Covid-19 unter diese Klausel subsumiert werden? (3.) Welche Rechtsfolgen, Fristen oder Handlungspflichten normiert die vertragliche Klausel?

Nicht selten enthalten Beschaffungsverträge Regelungen zu höherer Gewalt. Für den Fall, dass die entsprechende Regelung explizit Krankheiten, Seuchen und Epidemien einbezieht, würde die aktuelle Covid-19-Pandemie unter eine solche Vertragsklausel fallen.

Benennt die Force Majeure-Klausel jedoch lediglich Naturkatastrophen, Krieg, Arbeitskampfmaßnahmen und sonstige Umstände als Fälle der höheren Gewalt, was in der Praxis ebenfalls vorzufinden ist, ist eine entsprechende Auslegung dieser vertraglichen Regelung im Hinblick auf das aktuelle Corona-Virus erforderlich.
 

Höhere Gewalt ist nach BGH-Rechtsprechung ein „von außen kommendes, keinen betrieblichen Zusammenhang aufweisendes, auch durch äußerste, vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht abwendbares Ereignis.“ Nach verbreiteter Auffassung fallen auch Epidemien, die nach Vertragsschluss auftreten, grundsätzlich unter die vorstehende Definition der höheren Gewalt. Im Jahr 2004 hat beispielsweise das Amtsgericht Augsburg in einem Urteil zum Reiserecht die SARS-Epidemie als Fall der höheren Gewalt bewertet.
 

Es sprechen daher sehr gute Gründe dafür, die aktuelle Covid-19-Pandemie grundsätzlich unter eine vorhandene Force Majeure-Klausel zu subsumieren, selbst wenn diese nicht ausdrücklich auf Seuchen und Epidemien Bezug nimmt.

Ganz überwiegend sieht eine solche Klausel hinsichtlich der Rechtsfolgen vor, dass die Parteien für den Zeitraum des Leistungshindernisses aufgrund der höheren Gewalt – hier der Covid-19-Pandemie – von den jeweiligen Leistungspflichten befreit werden und zudem keine Partei Schadensersatz geltend machen kann. Oftmals sind zusätzlich für den Fall, dass das Leistungshindernis wegen höherer Gewalt einen längeren Zeitraum – der wiederum im Vertrag definiert sein sollte – andauert, Rücktritts- und Kündigungsrechte vorgesehen.
 

Diese Rechtsfolgen würden aufgrund der Force Majeure-Klausel aber lediglich dann eintreten, wenn das Leistungshindernis gerade wegen der Covid-19-Pandemie entstanden wäre bzw. gerade deshalb fortbestehen würde.
 

Allerdings sind höhere Kosten des Auftragsnehmers für die Vertragserfüllung bzw. negative Deckungsbeiträge aufgrund der Virus-Pandemie ggf. hinzunehmen, denn Force Majeure-Klauseln enthalten in der Vertragspraxis häufig den Zusatz, dass das Leistungshindernis mit „angemessenem technischem oder wirtschaftlichem Aufwand“ abzuwenden ist. In diesem Fall hat eine Abwägung der Interessen der Vertragsparteien im Einzelfall stattzufinden, wobei die Beweislast i.d.R. bei der Vertragspartei liegt, die sich auf den Eintritt von höherer Gewalt beruft, was im Zweifel der Auftragnehmer sein dürfte.

2. Fehlende Klausel zur höheren Gewalt im Vertrag

Enthält der Vertrag keine Force Majeure-Klausel, ergeben sich die Rechtsfolgen aus dem Gesetz: Bei einem entsprechenden Leistungshindernis, das auf die Covid-19-Pandemie zurückzuführen ist, ist ein Ausschluss der Leistungspflicht wegen Unmöglichkeit (§ 275 BGB) in Betracht zu ziehen. Eine nur vorübergehende Unmöglichkeit könnte den Erfüllungsanspruch allerdings auch nur zeitweise suspendieren.

Der Begriff der Unmöglichkeit stellt rechtlich allerdings eine hohe Hürde dar. Die sog. wirtschaftliche Unmöglichkeit fällt i.d.R. nicht unter § 275 BGB. Nur bei einem entsprechend „groben Missverhältnis“ unter Beachtung des Inhalts des Schuldverhältnisses und der Gebote von Treu und Glauben zwischen dem Leistungsaufwand der einen Partei und dem Leistungsinteresse der anderen Partei kommt ggf. ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 2 BGB in Betracht.

Steigen hingegen die Beschaffungspreise aufgrund von Covid-19 beispielsweise besonders stark an, ist tendenziell eher eine Anpassung des Vertrages nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) vorzunehmen. Ist eine solche Vertragsanpassung nicht möglich oder nicht zumutbar, ergeben sich ggf. Rücktritts- oder Kündigungsrechte aus § 313 Abs. 3 BGB. Die Abgrenzung zwischen § 275 BGB und § 313 BGB hat dabei stets am jeweiligen Einzelfall zu erfolgen.

IV. Gestaltung von Verfahren und Vertrag bei aktuellen Vergaben

In neuen Vergabeverfahren sollten zu befürchtende Leistungshindernisse aufgrund der Covid-19-Pandemie auch in der Vertragsgestaltung berücksichtigt und abgebildet werden.

Das Risiko der vollständigen Leistungserbringung wird zwar in der Regel beim Auftragnehmer liegen, jedoch wird auch der öffentliche Auftraggeber regelmäßig ein Interesse an der vertragsgemäßen Durchführung der Beschaffung haben. Dies gilt umso mehr, wenn die Beschaffungen – wie oben beschrieben – der Eindämmung und kurzfristigen Bewältigung der Corona-Epidemie und / oder der Aufrechterhaltung des Dienstbetriebs der öffentlichen Verwaltung dient. Eine Absicherung des Beschaffungsziels kann hier auch durch Berücksichtigung vorhandener Pandemiepläne und differenzierter Bezugsquellen (z.B. Lieferanten in unterschiedlichen Regionen) bei den Eignungskriterien oder Zuschlagskriterien erfolgen.
 

Bei der Gestaltung von neuen Verträgen könnten unter Berücksichtigung der Pandemie – bei kritischen Waren und Dienstleistungen – entsprechende Liefergarantien verlangt und aufgenommen werden, die zudem mit Vertragsstrafen kombiniert werden könnten. Zudem sollte klargestellt werden, dass die aktuelle Covid-19-Pandemie – auch bei fortschreitender Verbreitung – von den Vertragsparteien gerade nicht als Fall der höheren Gewalt angesehen wird, weshalb sich aus dieser Pandemie dann auch zukünftig kein Leistungsverweigerungsrecht ergeben könnte.

V. Herausforderung & Chance: Lehren aus der Coronakrise

Soziale Distanzierung und Ausgangsbeschränkungen katapultieren unsere Verwaltung und Wirtschaft jetzt per Schleudersitz in die digitale Zukunft. In Rekordzeit verändert das Thema Home-Office die Arbeitswelt. Was noch vor einiger Zeit in vielen Arbeitsbereichen undenkbar erschien, ist jetzt mangels Möglichkeit zur persönlichen Präsenz alternativlos.

Dankenswerter Weise hat die E-Vergabe die öffentliche Hand in den vergangenen Jahren bereits zur elektronischen Abwicklung des Beschaffungsprozesses gezwungen. Die Grundlagen zur Fortsetzung der Einkaufsarbeit aus dem Homeoffice sind daher vorhanden. Jetzt geht es darum, auch die Mitarbeiter der öffentlichen Hand und der Wirtschaft IT-technisch so auszurüsten, dass sie ihre Arbeit aus der heimischen Isolation heraus verrichten können: Beschaffungsbedarfe müssen virtuell statt persönlich abgestimmt, Besprechungen und Verhandlungen per Video- oder Telefonkonferenz abgehalten werden. Die Öffnung von Teilnahmeanträgen und Angeboten durch „mindestens zwei Vertreter des öffentlichen Auftraggebers gemeinsam an einem Termin“ (bspw. § 55 Abs. 2 VgV) sollte im Falle der zum Gesundheitsschutz erforderlichen Isolierung der teilnehmenden Einzelpersonen auch so abgewickelt werden können, dass beispielsweise eine Videokonferenz der Beteiligten bei gleichzeitiger Einblendung des Bildschirmgeschehens den Anforderungen genügt.

Dieser Paradigmenwechsel darf auch an der Justiz nicht vorbeiziehen. Im Nachprüfungsverfahren entscheidet die 6 Vergabekammer gemäß § 166 Abs. 1 S. 1 GWB aufgrund einer mündlichen Verhandlung, die sich auf einen Termin beschränken soll. Mit Zustimmung der Beteiligten oder bei Unzulässigkeit oder offensichtlicher Unbegründetheit kann nach Aktenlage entschieden werden, § 166 Abs. 1 S. 3 GWB. Eine Verlängerung der Entscheidungsfristen bis nach Krisenzeiten untergräbt auf Dauer die gebotene Effektivität des Rechtsschutzes. Dort wo Verhandlungen notwendig erscheinen, darf auch in Krisenzeiten kein Stillstand eintreten. Hier sollte in Anlehnung an § 128a Abs. 1 und 2 ZPO für die Zukunft durch den Gesetzgeber die Möglichkeit geschaffen werden, auch im Nachprüfungsverfahren im Wege der Bildund Tonübertragung zu entscheiden. Parteien, ihre Bevollmächtigten, Zeugen und Sachverständige können sich dann während der Verhandlung bzw. Vernehmung an einem anderen Ort aufhalten. Die Nutzung solcher Möglichkeiten setzt freilich voraus, dass die Vergabekammern und -senate über eine entsprechende zuverlässige elektronische Technik verfügen.

Perspektivisch werden Auftraggeber die Lehren aus der Corona-Krise auch in die Vergabeverfahrensgestaltung einfließen lassen und Eignungs-, Zuschlagskriterien wie auch die Verträge entsprechend anpassen. Entgegen seinem formalistischen Ruf hält das Vergaberecht in seinem Werkzeugkasten alle Instrumente zur flexiblen und erfolgreichen Bewältigung dieser Krise bereit. Lassen Sie sie uns gemeinsam nutzen.

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