Landgericht Hannover weist Entschädigungsanspruch ab
Mit dem Landgericht Hannover (Urteil vom 09.07.2020, Az. 8 O 2/20) hat erstmals ein Gericht in einem Hauptsacheverfahren über die Frage der Entschädigung entschieden. Der Kläger ist Inhaber einer Gaststätte, die – wie alle Restaurantbetriebe in Niedersachsen - aufgrund der niedersächsischen Corona-Verordnung für mehrere Wochen geschlossen bleiben musste. Die Angestellten des Klägers gingen in Kurzarbeit und der Kläger erhielt aus Bundes- und Landesmitteln Überbrückungszuschüsse. Der Gastronom beanspruchte mit seiner Klage vom Land Niedersachsen eine Entschädigung für seine schließungsbedingten Umsatz- und Gewinneinbußen.
Das Landgericht Hannover hat die Klage abgewiesen. Es hat verschiedene gesetzliche Regelungen dahingehend geprüft, ob diese dem Kläger einen Entschädigungsanspruch zugestehen. Im Ergebnis hat es dies verneint. Der Kläger hat kein Rechtsmittel gegen die Entscheidung eingelegt. Das Urteil des Landgerichts Hannover ist damit rechtskräftig.
Keine Entschädigung nach dem Infektionsschutzgesetz
Das Landgericht hat in seiner Urteilsbegründung zunächst einen auf das Infektionsschutzgesetz (IfSG) gestützten Entschädigungsanspruch verneint.
Der im Infektionsschutzgesetz vorgesehene Entschädigungsanspruch aus § 56 IfSG beträfe ausschließlich besondere Fallkonstellationen wie zum Beispiel Entschädigungen aufgrund von Verdienstausfällen infolge eines konkreten Krankheits- oder Ansteckungsverdachts. Keine der dort geregelten Konstellationen sei bezogen auf die coronabedingte Schließung der Gaststätte einschlägig. Es gab in der Gaststätte keine an Covid-19 erkrankte Person oder auch nur einen Infektionsverdacht.
Auch der Entschädigungsanspruch aus § 65 IfSG komme nicht in Betracht, da er voraussetze, dass die Behörden im Rahmen einer infektionsschutzrechtlichen Verhütungsmaßnahme nach §§ 16, 17 IfSG tätig werden. Bei der angeordneten generellen Schließung der niedersächsischen Restaurantbetriebe habe es sich aber, so das Landgericht Hannover, nicht um eine Verhütungsmaßnahme, sondern um eine infektionsschutzrechtliche Bekämpfungsmaßnahme gehanUPDATE Öffentliches Wirtschaftsrecht Aktuelles zu Corona 04. September 2020 2 delt, für die Entschädigungsregelungen im Infektionsschutzgesetz gerade nicht vorgesehen seien.
Das Landgericht Hannover hat dann ergänzend geprüft, ob die in §§ 56, 65 IfSG geregelten Entschädigungsansprüche analog auf kollektiv angeordnete Betriebs- und Gewerbeuntersagungen angewendet werden könnten. Dies hat es im Ergebnis ausdrücklich abgelehnt. Es sei eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers gewesen, keinen umfassenden Entschädigungsanspruch für diese Fälle zu normieren, sodass es an der erforderlichen planwidrigen Regelungslücke fehle. Bestätigt werde dies durch die aktuelle gesetzgeberische Tätigkeit während der Corona-Pandemie. Das Infektionsschutzgesetz sei geändert worden, ohne dem Gastronomiebereich einen seuchengesetzlichen Entschädigungsanspruch einzuräumen. Zum Zeitpunkt der Änderung des Infektionsschutzgesetzes seien die weitreichenden wirtschaftlichen Folgen der Betriebsschließungen für den Gesetzgeber absehbar gewesen, ohne hieran etwas zu ändern.
Kein Entschädigungsanspruch aus dem Polizei- und Ordnungsrecht
Das Landgericht Hannover hat es abgelehnt, Entschädigungsansprüche aus dem allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht herzuleiten. Das Infektionsschutzgesetz regle die Entschädigung abschließend und sperre daher die Anwendung des niedersächsischen Polizei- und Ordnungsrechts. Die Entscheidung des Gesetzgebers, für infektionsschutzrechtliche Maßnahmen keinen umfassenden Entschädigungsanspruch vorzusehen, sei von den Gerichten zu akzeptieren.
Kein „Sonderopfer“
Ebenso wenig könne ein Entschädigungsanspruch unmittelbar aus dem Grundgesetz hergeleitet werden. Die Voraussetzungen für einen Anspruch aus enteignendem Eingriff seien nicht gegeben. Insbesondere sei dem Kläger kein „individuelles Sonderopfer“ auferlegt worden. Der von den Schließungsmaßnahmen betroffene Personenkreis sei vielmehr denkbar weit; alle niedersächsischen Restaurantbetriebe hätten schließen müssen. Auch müsse berücksichtigt werden, dass die den Kläger betreffenden wirtschaftlichen Folgen der Betriebsschließung durch staatliche Hilfen abgefedert und daher nicht existenzgefährdend seien.
Weiter gibt das Landgericht zu bedenken, dass die Zubilligung von Entschädigungs- und Ausgleichsansprüchen gegen den Staat angesichts der Vielzahl der getroffenen Maßnahmen so weitreichende Folgen für die staatlichen Finanzen haben könne, dass hierdurch dem Haushaltsgesetzgeber (Landtage, Bundestag) die freie Entscheidungskompetenz aus der Hand genommen würde.
Einordnung der Entscheidungen
In der Sache steht die Entscheidung des Landgerichts Hannover in einer Reihe mit bisher ergangenen Entscheidungen im einstweiligen Rechtschutz. Ob diese Tendenz in weiteren Hauptsacheverfahren durch andere Gerichte, insbesondere durch die Obergerichte, bestätigt wird, bleibt abzuwarten. Die Entscheidung des Landgerichts Hannover macht jedoch deutlich, dass es kein „Selbstläufer“ ist, vom Staat Entschädigung für coronabedingte Schließungen zu erhalten.
Mit Blick auf die andauernde Pandemie sollten Unternehmen daher genau abwägen, ob sie künftige Schließungsanordnungen widerspruchslos hinnehmen. Die Entscheidung des Landgerichts Hannover zeigt, dass eine reelle Gefahr besteht, auf den schließungsbedingten Schäden „sitzen zu bleiben“, zumal nicht sicher ist, ob eventuell abgeschlossene Betriebsschließungsversicherungen einspringen.