Das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes NRW (MAGS NRW) hat die Verordnung zum Schutz vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus (CoronaSchVO) mit Wirkung zum 20.04.2020 neugefasst. Die Verordnung kann hier abgerufen werden. Auch in der neugefassten Verordnung sind weiterhin umfangreiche Betriebsschließungen vorgesehen. Im Vergleich zur vorherigen Verordnung enthält die Neufassung aber auch punktuelle Lockerungen.
Die 800qm-Verkaufsflächen-Grenze für den Handel
Die wohl weitreichendste Lockerung erfolgt im Bereich des Handels. Hier wurde der in der Verordnung vorgesehene Katalog an Betrieben erweitert, die grundsätzlich öffnen dürfen. Hinzugekommen sind Buchhandlungen sowie Kraftfahrzeug- und Fahrradhändler; auch Wochenmärkte dürfen wieder durchgeführt werden.
Unabhängig von ihrem Sortiment dürfen Händler öffnen, wenn in ihrem Betrieb die reguläre Verkaufsfläche 800 qm nicht übersteigt. Händler mit gemischtem Sortiment (Kaufhäuser) dürfen auch größere Verkaufsflächen öffnen, wenn sie auf der geöffneten Fläche ausschließlich Waren anbieten, deren Verkauf grundsätzlich erlaubt ist. Eine Betriebsöffnung ist diesen Händlern grundsätzlich möglich, wenn das Sortiment beschränkt wird. Sonstige Ausnahmen sieht die Verordnung nicht vor. Ebenso wenig ist vorgesehen, dass kommunale Behörden lokale Ausnahmen erteilen.
NRW hat mit der Anknüpfung an die reguläre Verkaufsfläche eine restriktive Regelung getroffen. In dem zwischen Bund und Ländern vereinbarten Beschluss über das weitere Vorgehen ist der Zusatz „regulär“ nicht vorgesehen. Abgestimmt war allein die Anknüpfung an die Verkaufsfläche von 800 qm. Der Beschluss kann hier abgerufen werden.
Problematisch ist der „nordrhein-westfälische Zusatz“ für Händler mit großflächigen Ladenlokalen, die kein gemischtes Sortiment anbieten. Eine Beschränkung ihres Sortiments auf Waren, deren Verkauf grundsätzlich erlaubt ist, ist ihnen nicht möglich. An der Sonderregelung für Händler mit gemischtem Sortiment können sie somit nicht partizipieren. Die Anknüpfung an die reguläre Verkaufsfläche verwehrt diesen Händlern nun die Möglichkeit, ihre Verkaufsfläche lediglich teilweise zu öffnen und etwa durch Absperrungen unterhalb des Schwellenwertes (800 qm) zu bleiben. Denn nach der CoronaSchV NRW ist nicht die tatsächlich geöffnete, sondern die reguläre Verkaufsfläche entscheidend.
Mit Blick auf die wirtschaftliche Bedeutung der Betriebsschließung überrascht es nicht, dass gegen diese Regelung bereits ein Eilverfahren beim Oberverwaltungsgericht NRW angestrengt wurde (Az.: 13 B 484/20.NE). Eine Entscheidung liegt noch nicht vor. Es bleibt abzuwarten, ob das Oberverwaltungsgericht NRW die Regelung beanstandet.
Erleichterungen für (medizinische) Handwerks- und Dienstleistungen
Eine (formale) Erleichterung ist für Handwerks- und Dienstleistungen im Gesundheitswesen (Physiotherapeuten, Hörgeräteakustiker, Optiker etc.) sowie medizinisch notwendige Handwerks- und Dienstleistungen getroffen worden. Anders als bisher muss die Notwendigkeit für die Erbringung der Leistung nicht mehr durch eine aktuelle ärztliche Bescheinigung nachgewiesen werden.
Gelockert wurde auch die bisherige Verkaufsbeschränkung für Handwerker. Bisher durften diese in ihren Geschäftslokalen nur Waren verkaufen, die mit ihrer jeweiligen Handwerksleistung verbunden waren. Diese Beschränkung ist weggefallen. Sicherzustellen ist in den Geschäftslokalen der Handwerker jedoch, dass der Mindestabstand von 1,5 Meter eingehalten wird und sich nicht mehr als eine Person je 10 qm Verkaufsfläche im Geschäftslokal befindet.
Klarstellung zu Übernachtungsangeboten
Übernachtungsangebote zu touristischen Zwecken und Reisebusreisen waren und bleiben verboten.
Deutlich hervorgehoben wird in der neuen Fassung der CoronaSchV nun jedoch, dass die Beherbergung von Geschäftsreisenden und deren gastronomische Versorgung zulässig ist. Die Neufassung führt diesbezüglich zu mehr Rechtsklarheit.
Fahrschulen können Erlaubnis zur Öffnung beantragen
Grundsätzlich müssen Freizeiteinrichtungen, zu denen auch Volkshochschulen und sonstige außerschulische Bildungseinrichtungen zählen, weiterhin geschlossen bleiben. Die CoronaSchV sieht für außerschulische Bildungseinrichtungen nun jedoch die Möglichkeit vor, dass diesen ausnahmsweise die Erlaubnis zur Betriebsöffnung erteilt werden kann. Der entsprechende Antrag kann für Bildungseinrichtungen gestellt werden, deren Bildungsangebot zwingende Voraussetzung für eine staatlich vorgeschriebene Prüfung ist.
Profitieren können von dieser Ausnahme etwa Fahrschulen. Denn der in Fahrschulen angebotene theoretische und praktische Unterricht ist zwingende Voraussetzung für eine staatlich vorgeschriebene Prüfung (Führerscheinprüfung). Bezogen auf den praktischen Fahrunterricht regelt die CoronaSchV auch, dass ein Mindestabstand zwischen Fahrschüler und –lehrer nicht einzuhalten ist. Der praktische Fahrunterricht darf durchgeführt werden, wenn nur Fahrschüler und –lehrer im Auto sind. Bei einer Fahrprüfung darf als dritte Person auch der Prüfer dazu stoßen.
Verantwortung der Arbeitgeber
Neu ist in der CoronaSchV weiter, dass die Verantwortung der Arbeitgeber zur Reduzierung der Infektionsrisiken ausdrücklich hervorgehoben wird. Arbeitgeber müssen Maßnahmen ergreifen, um
- Kontakte innerhalb der Belegschaft und zu Kunden zu vermeiden, soweit dies tätigkeitsbezogen möglich ist,
- Hygienemaßnahmen und Reinigungsintervalle zu verstärken und
- Heimarbeit („Home-Office“) zu ermöglichen, wenn dies sinnvoll umsetzbar ist.
Von Arbeitgebern wird damit nicht verlangt, sämtliche Kontakte innerhalb der Belegschaft zu unterbinden, sondern Kontakte auf das erforderliche tätigkeitsbezogene Maß zu beschränken. Aus beruflichen Gründen notwendige Zusammenkünfte bleiben zulässig. Sofern Betriebe unter Hinweis auf das grundsätzliche Versammlungsverbot ein Bußgeld auferlegt wird, weil eine Zusammenkunft der Belegschaft stattgefunden hat, ist die Rechtmäßigkeit eines solchen Bußgeldes daher zweifelhaft.
Normalisierung des gerichtlichen Dienstbetriebs
Das Oberverwaltungsgericht NRW hat in einer Presseerklärung mitgeteilt, dass die Verwaltungsgerichte den regulären Dienstbetrieb schrittweise wieder aufnehmen werden. Corona-bedingt war der Dienstbetrieb der Gerichte zuletzt auf das Nötigste beschränkt worden.
Bisher sind die Betriebsschließungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie durch die zur Kontrolle berufenen Gerichte in diversen (Eil-)Verfahren nicht beanstandet worden. Die Gerichte betonten hierbei, dass die Betriebsschließungen zum Schutz von Leib und Leben erforderlich seien. Die Betriebsschließungen sind allerdings zunehmend unter den Aspekten der Existenzgefährdung und der Gleichbehandlung rechtfertigungsbedürftig. Die Frage nach der Gleichbehandlung stellt sich beispielsweise, wenn nur Händler mit einem bestimmten Sortiment öffnen dürfen, andere Händler jedoch nicht.
Zur Klärung solcher Fragen können einzelne Regelungen der CoronaSchV NRW durch betroffene Betriebe unmittelbar zur gerichtlichen Überprüfung gestellt werden (§ 47 Abs. 1 Nr. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i.V.m. § 109a Justizgesetz NRW), was zuletzt auch erfolgt ist (siehe oben). Dieses sogenannte Normenkontrollverfahren erfolgt in NRW erst- und letztinstanzlich vor dem Oberverwaltungsgericht in Münster und sieht auch die Möglichkeit des Eilrechtschutzes vor. Die Bedeutung dieses Verfahrens haben zuletzt in der vorliegenden Situation auch das Bundesverfassungsgericht und der Verfassungsgerichtshof NRW nochmals bestätigt (VerfGH NRW, Beschluss v. 06.04.2020 –VerfGH 33/20.VB-1; BVerfG, Beschluss v. 10.04.2020- 1 BvQ 26/20).