§ 642 BGB regelt einen verschuldensunabhängigen Entschädigungsanspruch zu Gunsten des Unternehmers.
Hinter der Vorschrift steht die Überlegung, dass der Besteller in den Bauablauf eingebunden ist und es regelmäßig seiner Mitwirkung bedarf, damit der Unternehmer sein Werk herstellen kann, sei es, dass der Besteller ihm eine Vorunternehmerleistung oder Ausführungspläne zur Verfügung zu stellen oder erforderliche behördliche Genehmigungen zu beschaffen hat. Erfolgt diese Mitwirkung nicht, nicht rechtzeitig oder nicht ordnungsgemäß, führt dies häufig zu einer Unterbrechung oder Verlangsamung des Bauablaufs, während der Unternehmer seine Produktionsmittel, insbesondere seine Arbeitnehmer und Geräte weiter leistungsbereit halten muss. Der Unternehmer, dessen Vergütung – mit Ausnahme eines reinen Stundenlohnvertrages – in der Regel nicht zeitabhängig erfolgt, soll für dieses unnütze Vorhalten seiner Produktionsmittel, die einen wirtschaftlichen Wert besitzen und Kosten verursachen, nach § 642 BGB entschädigt werden.
Unter welchen Voraussetzungen dem Unternehmer bei Mitwirkungsverzug des Bestellers ein Entschädigungsanspruch aus § 642 BGB zusteht und insbesondere wie dieser zu berechnen ist, ist in der Instanzrechtsprechung und im Schrifttum umstritten.
Das Grundsatzurteil des BGH vom 26.10.2017
Erste Aussagen zu den Streitfragen um § 642 BGB hatte der Bundesgerichtshof (BGH) in seinem grundlegenden Urteil vom 26.10.2017 (VII ZR 16/17) getroffen (siehe hierzu unser Update Immobilienwirtschaftsrecht Dezember 2017).
In diesem Urteil hatte der BGH ausgeführt, dass es sich bei dem Anspruch aus § 642 BGB nicht um einen umfassenden Schadensersatzanspruch handelt, sondern um einen verschuldensunabhängigen Anspruch sui generis, auf den die Vorschriften der §§ 249 ff. BGB zur Berechnung von Schadensersatz nicht anwendbar sind. Ferner hatte er dort entschieden, dass Mehrkosten wie gestiegene Lohn- und Materialkosten, die zwar aufgrund des Annahmeverzuges des Bestellers, aber erst nach dessen Beendigung angefallen, nämlich bei Ausführung der verschobenen Werkleistung, vom Entschädigungsanspruch nach § 642 BGB nicht erfasst sind. Weiter hatte der BGH darauf hingewiesen, dass bei der Bemessung der Entschädigung gemäß § 642 BGB die „Höhe der vereinbarten Vergütung“ zu berücksichtigen ist, die auch den in dieser Vergütung enthaltenen Anteil für Gewinn, Wagnis und allgemeine Geschäftskosten einschließen kann.
Das Grundsatzurteil des BGH vom 30.01.2020
Am 30.01.2020 hat der BGH durch ein weiteres Grundsatzurteil (VII ZR 33/19) wegweisende Feststellungen insbesondere dazu getroffen, wie der Entschädigungsanspruch nach § 642 BGB zu bemessen ist. Diese erst am 20.03.2020 veröffentlichte Entscheidung ergänzt das grundlegende Urteil des Senates vom 26.10.2017 und hat ebenfalls erhebliche Bedeutung für die baurechtliche Praxis.
Zum Anspruchsgrund stellt der BGH in diesem Urteil zunächst klar, dass ein Nachteil in Form von Vorhaltekosten für vergeblich bereitgehaltene Produktionsmittel keine anspruchsbegründende Voraussetzung für eine angemessene Entschädigung gemäß § 642 BGB ist. § 642 BGB setzt nur voraus, dass der Besteller durch das Unterlassen einer Handlung, die bei der Herstellung des Werks erforderlich ist, in Annahmeverzug gerät.
Sodann geht der BGH auf die Anspruchshöhe ein und trifft Feststellungen dazu, wie der Entschädigungsanspruch gemäß § 642 BGB zu bemessen ist.
Hierzu weist der Senat – wie auch schon in dem Urteil vom 26.10.2017 – darauf hin, dass § 642 BGB dem Unternehmer eine angemessene Entschädigung dafür gewährt, dass er während des Annahmeverzuges des Bestellers in Folge Unterlassens einer diesem obliegenden Mitwirkungshandlung Personal, Geräte und Kapital, also die Produktionsmittel zur Herstellung der Werkleistung, bereithält.
Das Gericht führt aus, dass § 642 BGB eine Abwägungsentscheidung des Tatrichters auf der Grundlage der in § 642 Abs. 2 BGB genannten Kriterien erfordert, wonach sich die Höhe der Entschädigung einerseits nach der Dauer des Annahmeverzuges und der Höhe der vereinbarten Vergütung sowie andererseits nach demjenigen, was der Unternehmer in Folge des Annahmeverzuges an Aufwendungen erspart oder durch anderweitige Verwendung seine Arbeitskraft erwerben kann, bestimmt. Diese – vier – Kriterien bilden den Rahmen für die Bemessung der Entschädigung, wobei die Vorschrift keine exakte Berechnung des Entschädigungsanspruchs vorsieht, sondern davon ausgeht, dass der Tatrichter im Rahmen der erforderlichen Abwägung einen Ermessensspielraum hat, der ihm die Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls ermöglicht und er dabei auf eine Schätzung gemäß § 287 ZPO zurückgreifen kann. Dem Wortlaut von § 642 Abs. 2 BGB kann weder entnommen werden, dass eine Berechnung in Anlehnung an § 648 S. 2 BGB zu erfolgen hat, noch dass Maßstab für die Bemessung der Entschädigung die tatsächlichen Kosten für die Bereithaltung von Produktionsmittel sein sollen. Auch soll der Entschädigungsanspruch gemäß § 642 BGB nicht den gesamten Nachteil ausgleichen, der durch die während des Annahmeverzuges nicht mögliche Erwirtschaftung der Vergütung entstanden ist.
Der Senat stellt weiter fest, dass danach die angemessene Entschädigung gemäß § 642 BGB im Ausgangspunkt daran zu orientieren ist, welche Anteile der vereinbarten Gesamtvergütung einschließlich Wagnis, Gewinn und allgemeine Geschäftskosten auf die vom Unternehmer während des Annahmeverzuges unproduktiv bereitgehaltenen Produktionsmittel entfallen.
Damit hat der BGH die bis dato umstrittene Frage geklärt, ob der Entschädigungsanspruch – wie bei einer freien Kündigung des Bestellers nach § 648 S. 2 BGB – „von oben“, d.h. ausgehend von der zeitanteiligen Vergütung während der Dauer des Annahmeverzuges abzüglich ersparter Aufwendungen und anderweitigem Erwerb oder „von unten“, d.h. ausgehend vom Vergütungsanteil der tatsächlich vorgehaltenen Produktionsmittel einschließlich der Zuschläge für allgemeine Geschäftskosten sowie Wagnis und Gewinn, zu ermitteln ist. Letzteres ist der Fall. Die angemessene Entschädigung ist auf die während des Annahmeverzuges tatsächlich unnütz bereitgehaltenen Produktionsmittel beschränkt und anhand der auf diese Produktionsmittel entfallenden, vereinbarten Vergütung – auf der Grundlage der Auftrags- bzw. Urkalkulation – zu bewerten.
Zudem führt der BGH aus, dass der Tatrichter im Hinblick auf das Kriterium des anderweitigem Erwerbs zu prüfen hat, ob der Unternehmer seine Produktionsmittel während des Annahmeverzuges anderweitig – produktiv – eingesetzt hat oder einsetzen konnte und stellt insoweit fest, dass es dabei ohne Bedeutung ist, ob die anderweitige Einsatzmöglichkeit auf einem sogenannten „echten Füllauftrag“ beruht, also auf einem Auftrag, der nur wegen des Annahmeverzuges angenommen und ausgeführt werden kann.
Damit ist bei § 642 BGB – wiederum anders als im Falle der freien Kündigung des Bestellers gemäß § 648 S. 2 BGB – für die Bemessung des Entschädigungsanspruch jeder anderweitige Einsatz der Produktionsmittel des Unternehmers anzurechnen. Es kommt allein darauf an, ob der Unternehmer durch die in Folge des Annahmeverzuges des Bestellers frei gewordenen Produktionsmittel Einnahmen erzielt hat. Schließlich stellt der BGH noch fest, dass die Darlegungsund Beweislast für die in § 642 Abs. 2 genannten Kriterien nach allgemeinen Grundsätzen der Unternehmer als Anspruchsteller trägt, dieser also die Tatsachen für die vom Tatrichter vorzunehmende Abwägungsentscheidung beizubringen hat. Auch insoweit unterscheidet sich § 642 BGB von der Beweislastverteilung des § 648 S. 2 BGB im Falle einer freien Bestellerkündigung.