Rückblick
Unter der Überschrift „Der ruinöse Preiswettbewerb ist eröffnet“ hatten wir in unserem Update Immobilienwirtschaftsrecht von Juli 2019 über das Urteil des EuGH berichtet, durch das in einem von der Europäischen Kommission betriebenen Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland festgestellt wurde, dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus der Dienstleistungsrichtlinie verstoßen hat, dass sie verbindlich Honorare für die Leistungen von Architekten und Ingenieuren beibehalten hat.
Unstreitig ist, dass das Urteil des EuGH für öffentliche Auftraggeber bereits unmittelbar Rechtswirkungen entfaltet. Für die öffentliche Hand folgt aus Artikel 260 Abs. 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) und aufgrund des Anwendungsvorrangs von EU-Recht, das Verbot, die vom EuGH als europarechtswidrig festgestellten Regelungen der HOAI über die verbindlichen Mindest- und Höchstsätze bei der Vergabe von Architekten- und Ingenieurleistungen anzuwenden.
Uneinheitliche Instanzrechtsprechung
Höchst streitig ist im Hinblick auf das Urteil des EuGH vom 04.07.2019 demgegenüber, ob die Regelungen der HOAI über die verbindlichen Mindest- und Höchstsätze im Rechtsverhältnis zwischen Privaten weiter anzuwenden sind, oder ob die durch den EuGH festgestellte Europarechtswidrigkeit der betreffenden HOAI-Regelungen auch insoweit „durchschlägt“.
Zu dieser Frage haben sich inzwischen sowohl in der Instanzrechtsprechung, als auch im juristischen Schrifttum, zwei etwa zahlenmäßig gleichstarke „Lager“ gebildet (siehe unser Update Immobilienwirtschaftsrecht von Januar 2020). Während beispielsweise das OLG Hamm die Auffassung vertritt, dass die Regelungen der HOAI über die verbindlichen Mindest- und Höchstsätze in Rechtsverhältnissen zwischen Privaten solange anwendbar sind, bis eine HOAI-Novelle in
Kraft tritt, ist u.a. das OLG Celle der Ansicht, dass die deutschen Gerichte ab sofort verpflichtet sind, die vom EuGH für europarechtswidrig erklärten HOAI-Regelungen auch bei Rechtsstreitigkeiten zwischen Privaten nicht mehr heranzuziehen.
Beschluss des BGH vom 14.05.2020
Die in der Branche mit Spannung erwartete Entscheidung des Meinungsstreites durch den BGH ist – wie eingangs erwähnt – ausgeblieben.
Im Revisionsverfahren lagen dem BGH Berufungsurteile des OLG Hamm und des OLG Celle, also von Vertretern der unterschiedlichen „Lager“ vor. Die mündlichen Verhandlungen in diesen beiden Revisionsverfahren fanden am 14.05.2020 statt.
Die Revision gegen das Urteil des OLG Celle wurde vom BGH zurückgewiesen (VII ZR 205/19). Die HOAI war aus Sicht des BGH in diesem Verfahren nicht entscheidungserheblich. Eine Aussage dazu, ob das zwingende Preisrecht der HOAI in Auseinandersetzungen zwischen Privaten noch verbindlich ist, musste der BGH in diesem Verfahren nicht treffen.
Die Revision gegen das Urteil des OLG Hamm betrifft einen Sachverhalt, bei dem ein Ingenieur abweichend von dem vereinbarten Pauschalhonorar von seinem Auftraggeber den höheren Mindestsatz nach der HOAI verlangte. Das Landgericht Essen und das OLG Hamm verurteilten den Auftraggeber zur Zahlung des Mindestsatzes.
Der BGH hat in dem das Urteil des OLG Hamm betreffenden Revisionsverfahren, die umstrittene Frage, ob die HOAI-Mindestsätze trotz der vom EuGH festgestellten Europarechtswidrigkeit zwischen Privaten weiter gelten, nicht geklärt.
In seinem Beschluss vom 14.05.2020 (VII ZR 174/19) stellt der BGH zunächst fest, dass eine richtlinienkonforme Auslegung des verbindlichen Preisrechts der HOAI nicht möglich sei, weil Wortlaut und Sinn der Regelung eine solche Auslegung nicht zuließen. Weiter führt er aus, dass er dazu neige, keine unmittelbare Wirkung der Dienstleistungsrichtlinie auf die entgegenstehenden nationalen HOAI-Regelungen anzunehmen. Eine Richtlinie könne zwar auf innerstaatliche Sachverhalte Anwendung finden, dies jedoch nicht in der Weise, dass sich eine Partei in einem laufenden Gerichtsverfahren darauf berufen könne, dass eine nationale Regelung nicht anwendbar sei, weil sie gegen die Richtlinie verstoße. Da die Frage der richtigen Anwendung des Unionsrechts angesichts der zahlreichen gegenteiligen obergerichtlichen Entscheidungen sowie Meinungsäußerungen im Schrifttum jedoch nicht von vorneherein eindeutig beantwortet werden könne, sei die Vorlage an den EuGH geboten.
Der BGH hat dem EuGH mit seinem Beschluss vom 14.05.2020 drei Vorlagefragen gestellt: 1. Ob die Dienstleistungsrichtlinie im Rahmen eines laufenden Gerichtsverfahrens zwischen Privaten, in dem die Geltung des verbindlichen Preisrechts der HOAI im Streit steht, unmittelbar anzuwenden ist. 2. Für den Fall, dass die erste Frage zu verneinen ist, ob der verbindliche Preisrahmen der HOAI gegen die Niederlassungsfreiheit oder gegen sonstige allgemeine Grundsätze des Unionsrechts verstößt. 3. Bejahendenfalls, ob aus einem solchen Verstoß folgt, dass in einem laufenden Gerichtsverfahren zwischen Privaten die nationalen Regelungen der HOAI über verbindliche Mindestsätze nicht mehr anzuwenden sind.