Der Bundestag sowie der Landtag NRW haben in der vergangenen Woche Gesetzesvorhaben beschlossen, die jeweils auf eine Begrenzung von Windenergieanlagen außerhalb der planerisch vorgesehenen Windenergiebereiche im Sinne des Windenergieflächenbedarfsgesetz (WindBG) abzielen. Allein in Nordrhein-Westfalen, das (erneut) ein Entscheidungsmoratorium einführen will, sind davon 1.500 Anträge (!) betroffen.
Anlass der gesetzlichen Aktivitäten ist eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts (OVG) NRW vom 26.09.2024. Darin befand das OVG den Versuch des Landes NRW, Anträge für Windenergieanlagen außerhalb der in den Regionalplanentwürfen vorgesehenen Windenergiebereiche über die Plansicherungsklausel des § 36 Abs. 3 Landesplanungsgesetz (LPlG) NRW zurückstellen, mangels Gesetzgebungskompetenz für voraussichtlich verfassungswidrig und nichtig (wir berichteten hier). Da Windenergieanlagen somit – vereinfacht gesagt – bis zum Erreichen der durch das WindBG vorgegebenen Flächenbeitragswerte auch außerhalb der vorgesehenen Windenergiebereiche grundsätzlich gem. § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB privilegiert und somit zu genehmigen sind, befürchtete speziell das Land NRW einen „Wildwuchs“ beim Windenergiezubau. Darauf haben der Bundes- und der Landesgesetzgeber nunmehr mit unterschiedlicher Stoßrichtung reagiert:
- Änderung des BImSchG – Einschränkung von Vorbescheidverfahren
Der Bundestag hat am 31.01.2025 den „Entwurf eines Gesetzes für mehr Steuerungen und Akzeptanz beim Windenergieausbau“ beschlossen. Bevor es in Kraft treten kann, muss das Gesetz noch den Bundesrat passieren, der darüber voraussichtlich in seiner nächsten Sitzung am 14.02.2025 beschließen wird.
Inhaltlich wird der für Vorbescheidanträge geltende § 9 Abs. 1a Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) geändert und „zurückgefahren“. § 9 Abs. 1a BImSchG wurde erst letztes Jahr im Zuge der großen BImSchG-Novelle eingeführt und sieht Vereinfachungen speziell für Windenergieanlagen vor. Danach können Vorbescheide zu einzelnen Genehmigungsvoraussetzungen erteilt werden, ohne dass es der sonst erforderlichen „positiven vorläufigen Gesamtbeurteilung“ bedarf (wir berichteten hier).
Voraussetzung für die Erteilung eines – auch vereinfachten – Vorbescheids ist allerdings, dass daran ein „berechtigtes Interesse“ besteht (§ 9 Abs. 1, 1a S. 1 BImSchG). Der neu eingeführte § 9 Abs. 1 a Satz 2 BImSchG schreibt nun vor, dass ein solches berechtigtes Interesse nicht vorliegt für einen Antrag auf Vorbescheid über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit, wenn der Vorhabenstandort außerhalb von ausgewiesenen Windenergiegebieten oder in Aufstellung befindlichen Windenergiegebieten liegt. Ausnahmen gelten für Repowering-Vorhaben.
§ 9 Abs. 1a BImSchG wird nicht nur neue, nach Inkrafttreten des Gesetzes eingereichte Anträge auf Vorbescheid erfassen, sondern auch anhängige Anträge, die noch nicht beschieden sind. Dem Vernehmen nach betrifft dies ca. 1.000 Vorbescheidanträge allein in Nordrhein-Westfalen. Bereits erteilte Vorbescheide werden von der Gesetzesänderung hingegen nicht erfasst und entfalten weiterhin Bindungswirkung.
Die Änderung des § 9 Abs. 1a BImSchG wirft einige Auslegungsfragen auf, die durch die Gesetzesbegründung nicht geklärt werden. So ist bereits unklar, ob nur Vorbescheide erfasst sein sollen, die einzig bauplanungsrechtliche Zulässigkeit zum Inhalt haben oder ob auch Vorbescheide erfasst sein sollen, in denen unter anderem die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit geprüft werden soll. Ferner fragt sich, was unter dem „in Aufstellung befindlichen Windenergiegebiet“ zu verstehen ist und ob an dessen Vorliegen die gleichen Anforderungen gelten wie für das gesetzlich definierte „in Aufstellung befindliche Ziel der Raumordnung“ (§ 3 Nr. 4a ROG). Antragstellern wird daher empfohlen, im Einzelfall genau zu prüfen, ob die Gesetzesänderung auf sie überhaupt Anwendung findet.
2. Komplettes Entscheidungsmoratorium für Standorte außerhalb der vorgesehenen Windenergiegebiete in Nordrhein-Westfalen
Der Landesregierung in NRW ging die bundesgesetzliche Änderung nicht weit genug, sodass sie noch einen „draufsetzte“. Der Landtag Nordrhein-Westfalen hat dazu am 30.01.2025 das 5. Gesetz zur Änderung des Landesplanungsgesetz Nordrhein-Westfalen beschlossen. Der durch die Fraktionen der SPD und der FDP eingebrachte Gesetzesentwurf sah ursprünglich die Aufhebung des durch das OVG NRW für nichtig befundenen § 36 Abs. 3 LPlG NRW vor. Die letztlich mit den Stimmen der Regierung aus CDU und Grünen sowie der FDP beschlossene Gesetzesfassung kehrt den ursprünglichen Entwurf ins Gegenteil um und führt einen neuen § 36a LPlG NRW ein. Dieser tritt einen Tag nach seiner Verkündung in Kraft.
Nach § 36a Abs. 1 LPlG NRW sind Entscheidungen über Vorhaben zur Windenergienutzung sowie Entscheidungen über deren Zulässigkeit für 6 Monate ab Inkrafttreten des Gesetzes allgemein untersagt, wenn sich ein Raumordnungsplan zur Erreichung der Flächenziele des WindBG in Aufstellung befindet und der jeweilige Vorhabenstandort außerhalb der entwurfsweise vorgesehenen Windenergiegebiete liegt. Es wird mit anderen Worten ein sechsmonatiges Entscheidungsmoratorium für Standort außerhalb der vorgesehenen Windenergiegebiete eingeführt. Ziel der Landesregierung dürfte sein, dass in dieser Zeit alle Regionalplanungen zur Ausweisung von Windenergiegebieten in Kraft treten, wodurch Standorte außerhalb der Windenergiegebiete „entprivilegiert“ und damit planungsrechtlich unzulässig werden (§ 249 Abs. 2 BauGB). Anhängige Anträge müssten dann ggf. abgelehnt werden.
Ausnahmen gelten auch im Landesrecht zum einen für Repowering-Vorhaben, zum anderen für Vorhaben, für die bis 10 Monate vor Inkrafttreten der Gesetzesänderung vollständige Genehmigungsunterlagen bei der Genehmigungsbehörde vorlagen. Die Bezirksregierungen können ferner eine Befreiung von der allgemeinen Untersagung erteilen. Erforderlich ist dafür allerdings ein Antrag des Vorhabenträgers, der nachweist, dass ausnahmsweise eine Störung der Durchführung der Planung ausgeschlossen ist (vgl. § 36 a Abs. 4 LPLG NRW sowie die dort näher definierten Voraussetzungen). Nach der Gesetzesbegründung soll mit Befreiungsanträgen ausdrücklich restriktiv umgegangen werden.
Im Gegensatz zur bundesrechtlichen Änderung des BImSchG erfasst die neue landesrechtliche Regelung nicht nur Vorbescheide, sondern auch (vollständige) Genehmigungsanträge. Die Zahl der betroffenen Anträge soll dadurch von ca. 1.000 auf ca. 1.500 anwachsen. Bemerkenswert ist, dass die Aussetzungsentscheidung im Gegensatz zur bisherigen Regelung des § 36 Abs. 3 LPlG NRW nicht mehr in das Ermessen der jeweiligen Planungsbehörde gestellt wird, sondern gesetzlich allgemein für 6 Monate angeordnet wird. Das OVG NRW hatte allerdings bereits die vorherige Regelung des § 36 Abs. 3 Landesplanungsgesetz NRW deshalb für voraussichtlich verfassungswidrig und nichtig befunden, weil eine 6-monatige Aussetzung in die bundesgesetzlich durch das BImSchG vorgesehenen Entscheidungsfristen eingreift (wir berichteten hier). Zweifel an der Vereinbarkeit des neuen § 36a LPlG NRW mit der OVG-Rechtsprechung sind somit angebracht. Auch wenn der Rechtsschutz gegen eine gesetzliche Anordnung gegenüber einem Aussetzungsbescheid im Sinne des § 36 Abs. 3 LPlG NRW erschwert ist, sollte betroffene Antragssteller daher ihre Rechtsschutzmöglichkeiten prüfen.