Der Entwurf der Bundesregierung umfasst den vom BMF eingebrachten Referententwurf eines zweiten Jahressteuergesetzes 2024 (JStG 2024 II), der u.a. Neuregelungen zum Gemeinnützigkeitsrecht enthält. Eine besonderes praxisrelevante Veränderung ist die nach dem Entwurf geplante ersatzlose Abschaffung des Gebots der zeitnahen Mittelverwendung. Für Stiftungen und Vereine wäre dies ein völlig unerwarteter, und bislang wohl auch nicht zu Ende gedachter Paradigmenwechsel. Die Reform enthält noch weitere Veränderungen, wie insbesondere die Klarstellung, dass gemeinnützige Körperschaften außerhalb ihrer Satzungszwecke gelegentlich zu tagespolitischen Themen Stellung nehmen dürfen, und die Zweckbetriebseigenschaft von Photovoltaikanlagen. Dieser Artikel beschränkt sich auf den Aspekt der Abschaffung des Gebots der zeitnahen Mittelverwendung.
Steuerbegünstigte Körperschaften wie insbesondere Stiftungen, Vereine und gGmbH’n sind bislang verpflichtet, ihre Mittel, also Einnahmen z.B. aus Spenden, Zinsen, Dividenden etc. „zeitnah“ für ihre steuerbegünstigten Satzungszwecke zu verwenden. Zeitnah bedeutet nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 AO, dass Mittel innerhalb der zwei auf den Zufluss folgenden Kalender- oder Wirtschaftsjahren verwandt werden müssen, was durch eine Mittelverwendungsrechnung nachzuweisen ist. In diesem Zusammenhang gibt es eine Vielzahl von Ausnahmevorschriften zur Rücklagen- und Vermögensbildung, die den Grundsatz der zeitnahen Mittelverwendung abmildern, aber zu einem gewissen Buchungs- und Dokumentationsaufwand (Mittelverwendungsrechnung und Rücklagenspiegel) führt, der gerade ehrenamtlich geführte, kleinere Stiftungen und Vereine vor gewisse Hürden stellt.
Daher hatte der Gesetzgeber bereits Ende 2021 einen Dispens von der Pflicht zum Nachweise der zeitnahen Mittelverwendung eingeführt, wenn eine gemeinnützige Körperschaft nicht mehr als 45.000 € Einnahmen pro Jahr hat.
Mit dem aktuellen Gesetzentwurf will die Bundesregierung die Streichung des Gebotes der zeitnahen Mittelverwendung nun auf alle steuerbegünstigten Körperschaften ausdehnen. Befürchtungen, dass Stiftungen, Vereine und andere steuerbegünstigte Körperschaften ihre Mittel möglicherweise vollständig admassieren, und gar nicht mehr für ihre steuerbegünstigten Zwecke verwenden, hat der Gesetzgeber nicht, und stützt dies auf das unverändert bestehen bleibende Gebot der Ausschließlichkeit nach § 56 AO. Außerdem sei es – so die Begründung zum Gesetzentwurf – im Eigeninteresse von Vereinen, dass eingenommene Spenden zeitnah verwandt werden.
Fest steht, dass der Gesetzgeber mit der Abschaffung des Grundsatzes der zeitnahen Mittelverwendung keinen Freibrief erteilen will, dass steuerbegünstigte Körperschaften nur noch unzureichend oder gar nicht mehr fördern brauchen.
Jedenfalls für rechtsfähige Stiftungen ergibt sich – unabhängig von der Höhe ihrer jährlichen Einnahmen – bereits aus der stiftungsrechtlichen Pflicht, den Stiftungszweck zu erfüllen, ein Verbot zur vollständigen Thesaurierung.
Insgesamt ist die beabsichtigte Abschaffung des komplizierten Mechanismus aus zeitnaher Mittelverwendung und Rücklagenbildung als Maßnahme zur Entbürokratisierung in seiner Zielrichtung zu begrüßen. Allerdings würde diese Deregulierung zu einer Rechtsunsicherheit führen, wann gemeinnützige Körperschaften ihre Satzungszwecke noch „nachhaltig“ genug erfüllen, und wann ihnen schlimmstenfalls ein Entzug der Gemeinnützigkeit ohne vorherige Fristsetzung zur Mittelverwendung droht. Denn in Ermangelung klarer Regeln würde sich eine – im ungünstigsten und leider wahrscheinlichsten Fall uneinheitliche – Verwaltungspraxis etablieren, die für gemeinnützige Körperschaften zum unkalkulierbaren Risiko wird.