BGH, Urteil vom 17. September 2020 – IX ZR 62/19

Eine teilweise Räumung durch den Insolvenzverwalter begründet keine Masseverbindlichkeit gemäß § 55 InsO

Fachbeitrag
Immobilienwirtschaftsrecht

Mit Urteil vom 17. September 2020 stellt der Bundesgerichtshof fest, dass die Pflicht zur Versetzung der Mietsache in den vor Überlassung existierenden Zustand keine Masseverbindlichkeit begründet, wenn der Insolvenzverwalter eine Einrichtung, die der Schuldner mit der Mietsache verbunden hat und die im Eigentum des Schuldners steht entfernt und dabei den Rahmen der (teilweisen) Erfüllung der Räumungspflicht nicht überschreitet.

Sachverhalt:

Die Klägerin vermietete der F GmbH (im Folgenden: Schuldnerin) mit Vertrag vom 16.10.2001 eine Teilfläche eines Grundstücks zur Lagerung von Materialien und zur Errichtung einer Lagerhalle. Die Schuldnerin errichtete auf dem Grundstück eine Leichtbaumetallhalle. Diesbezüglich verpflichtete sich die Schuldnerin im Mietvertrag dazu, die von ihr erstellten baulichen Anlagen bei Vertragsbeendigung zu entfernen. Mit Beschluss vom 1.4.2016 eröffnete das Insolvenzgericht das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin und bestellte den Beklagten zum Insolvenzverwalter. Der Beklagte kündigte den Mietvertrag zum 31.7.2016. Nachfolgend teilte die Klägerin dem Beklagten schriftlich mit, dass dieser das Grundstück nicht zurückgegeben und nicht geräumt habe. Der Beklagte entfernte anschließend unter anderem die Leichtbaumetallhalle, beließ aber die für die Halle von der Schuldnerin eingebauten Fundamente auf dem Grundstück. Anschließend forderte die Klägerin den Beklagten zu Räumung und Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands auf.

Weil der Beklagte dieser Aufforderung nicht nachkam, nahm die Klägerin den Beklagten klageweise auf vollständige Räumung des Grundstücks sowie Zahlung einer Nutzungsentschädigung für den Zeitraum August 2016 bis März 2017 in Anspruch.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht den Beklagten verurteilt, die für die Halle errichteten Fundamente abzubrechen und das Abbruchmaterial zu entfernen sowie eine Nutzungsentschädigung für den vorgenannten Zeitraum zu bezahlen. Die seitens des Beklagten eingelegte Revision führt zur Wiederherstellung des landgerichtlichen (klageabweisenden) Urteils.

Räumungsanspruch der Klägerin stellt keine Masseverbindlichkeit gemäß § 55 InsO dar:

Zutreffend führt der Bundesgerichtshof aus, dass die seitens der Klägerin geltend gemachten Ansprüche keine Masseverbindlichkeiten darstellen, weil die Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 InsO nicht vorliegen. Der Anspruch der Klägerin auf Räumung des Grundstücks ist (nur) eine Insolvenzforderung.

Endet der Mietvertrag - wie im Streitfall - nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, hat wegen des Räumungsanspruchs des Vermieters die Abgrenzung zwischen Masseverbindlichkeit und Insolvenzforderung grundsätzlich danach zu erfolgen, wann das Räumungsgut auf das Mietgrundstück verbracht worden ist.

Soweit die zu räumenden Gegenstände und Einrichtungen bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf dem Grundstück vorhanden waren, begründet der Räumungsanspruch eine Insolvenzforderung. Der Räumungsanspruch des Vermieters entsteht aufschiebend bedingt bereits mit Abschluss des Mietvertrags.

Im Streitfall verpflichtete bereits der Mietvertrag die Schuldnerin, die von ihr erstellte Leichtbaumetalle bei Vertragsbeendigung zu entfernen.

Rechtsfehlerhaft meint das Berufungsgericht, dass der Abbau der Leichtbaumetallhalle dazu führe, dass der Beklagte das Grundstück nachteilig verändert habe und deshalb die Räumungspflicht hinsichtlich der auf dem Grundstück verbliebenen Fundamente eine Masseverbindlichkeit darstelle, mit der Folge, dass diese gem. $ 53 InsO vorweg zu befriedigen sind.

Masseverbindlichkeiten sind gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO Verbindlichkeiten, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden. Weiter gilt dies gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO für Verbindlichkeiten aus gegenseitigen Verträgen, soweit deren Erfüllung zur Insolvenzmasse verlangt wird. Räumungs- und Wiederherstellungspflichten des Mieters werden nach diesen Vorschriften nur zu Masseverbindlichkeiten, soweit es sich um nachteilige Veränderungen handelt, die nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingetreten sind.

Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn der Insolvenzverwalter eine Räumungsverpflichtung des Schuldners teilweise erfüllt. Stellt der Räumungsanspruch des Vermieters eine Insolvenzforderung dar, bleibt es für den nicht erfüllten Teil dabei, dass es sich um eine Insolvenzforderung handelt.

Handlungen des Insolvenzverwalters, die allein der Abwicklung von bereits bei Verfahrenseröffnung bestehenden Rechtsbeziehungen dienen, fallen nicht unter § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Insolvenzforderungen werden nicht durch eine bloße Beteiligung des Insolvenzverwalters zu Masseverbindlichkeiten.

Ebenso wenig erfüllt die teilweise Entfernung einer Einrichtung durch den Insolvenzverwalter die Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, wenn der Insolvenzverwalter dabei den Rahmen einer teilweisen Erfüllung des mietvertraglichen Räumungsanspruchs nicht überschreitet. Die Pflicht des Mieters, die Sache in den vorigen Stand zu setzen, ist bereits Teil der mietvertraglichen Räumungspflicht.

Daher genügt es auch nicht, dass das Wegnahmerecht aus § 539 Abs. 2 BGB im Hinblick auf § 258 BGB den Mieter zusätzlich verpflichtet, die Sache in den vorigen Stand zu versetzen, um bei einer nur teilweisen Räumung des Grundstücks eine Masseverbindlichkeit zu begründen.

Die Annahme einer Masseverbindlichkeit kommt erst in Betracht, wenn der Insolvenzverwalter mit der Entfernung einer Einrichtung nicht nur den Räumungsanspruch (teilweise) erfüllt, sondern weitergehende Rechte zugunsten der Masse beansprucht und dabei in Rechte des Vermieters eingreift. Daran fehlt es jedenfalls dann, wenn der Insolvenzverwalter nur eine Einrichtung entfernt, die im Eigentum des Schuldners steht, und die Mietsache abgesehen von der Trennung der Einrichtung nicht weiter verändert wird.

So liegt der Streitfall. Die Leichtbaumetallhalle stand im Eigentum der Schuldnerin. Gemäß § 95 Abs. 1 Satz 1 BGB gehören zu den Bestandteilen eines Grundstücks solche Sachen nicht, die nur zu einem vorübergehenden Zweck mit dem Grund und Boden verbunden sind. Eine Verbindung zu einem vorübergehenden Zweck erfolgt, wenn ihre spätere Aufhebung von Anfang an beabsichtigt ist. Maßgeblich ist der innere Wille des Einfügenden im Zeitpunkt der Verbindung der Sache. Wenn ein Mieter ein Gebäude auf dem ihm nicht gehörenden Grundstück errichtet, besteht eine tatsächliche Vermutung, dass er dabei nicht mit der Absicht gehandelt hat, das Gebäude nach Beendigung des Mietverhältnisses dem Grundstückseigentümer zu überlassen. Diese Voraussetzungen waren vorliegend erfüllt. Nach dem Mietvertrag war die Schuldnerin verpflichtet, die Leichtbaumetallhalle bei Beendigung des Mietverhältnisses zu entfernen. Damit handelte es sich um eine bewegliche Sache, die im Eigentum der Schuldnerin verblieb.

Der Beklagte baute die Leichtbaumetallhalle ab, ohne das Grundstück weiter zu verändern. Die Fundamente der Halle befinden sich in unveränderter Form auf dem Grundstück. Andere Veränderungen des Grundstücks sind nicht ersichtlich, weshalb das Vorgehen des Beklagten keine Masseverbindlichkeit begründet.

Geltend gemachter Anspruch auf Nutzungsentschädigung ebenfalls keine Masseverbindlichkeit gemäß § 55 InsO:

Die Pflicht zur Zahlung der Nutzungsentschädigung nach § 546a BGB beruht allein auf dem zwischen Mieter und Vermieter abgeschlossenen Vertrag. Sie kann nur unter den hierfür allgemein geltenden Regeln des § 55 InsO zur Masseverbindlichkeit werden. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen diesbezüglich ebenfalls nicht vor.

Eine Masseverbindlichkeit ist nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO nicht gegeben. Hierzu müsste der Beklagte die Mietsache nach der Eröffnung des Verfahrens für die Masse in Anspruch genommen haben. Dies war vorliegend nicht der Fall.

Der Entschädigungsanspruch ist auch nicht gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2 InsO als Masseverbindlichkeit einzuordnen. Dies kommt in Betracht, wenn das Mietverhältnis, auf dem der Anspruch nach § 546a BGB beruht, die Insolvenzeröffnung überdauert. Erforderlich ist zudem, dass der Insolvenzverwalter dem Vermieter die Sache vorenthält. Daran fehlte es bereits.

Somit stellt auch der geltend gemachte Anspruch auf Nutzungsentschädigung ebenfalls keine Masseverbindlichkeit i.S.d. § 55 InsO dar, sodass auch diesbezüglich keine Vorwegbefriedigung gem. § 53 InsO zu erfolgen hat.

Praxistipp

In den Fällen, in denen über das Vermögen des Mieters das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, ist bei erfolgter Kündigung des Mietverhältnisses durch den Insolvenzverwalter im Einzelfall zu prüfen, ob es sich bei den weiteren Ansprüchen des Vermieters anlässlich der Abwicklung des bestehenden Mietvertrages um einfache Insolvenzforderungen oder um Masseverbindlichkeiten handelt, die gemäß § 53 InsO vorweg zu befriedigen sind.

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