Diskriminierung beim Entgelt, Mitbestimmung bei Versetzungen und vieles mehr – Neuigkeiten vom Arbeitsrechtsfrühstück

Fachbeitrag
Arbeitsrecht

 

„Verhandlungsgeschick allein darf kein Grund sein für eine Lohnlücke zwischen Männern und Frauen.“

Das war einer der Leitsätze, die auf dem AULINGER-Arbeitsrechtsfrühstück vom 26.4.2023 erörtert wurden und sicher mit zu der Rekordzahl von 72 Anmeldungen beitrugen. Für alle, die nicht dabei sein konnten, möchten wir die wichtigsten Themen kurz zusammenfassen:

 

Mitbestimmung des Betriebsrats bei Versetzungen

Versetzungen erfordern gemäß § 99 BetrVG die Zustimmung des Betriebsrats. Das Bundesarbeitsgericht hat mit zwei Beschlüssen vom 11.10.2022 (1 ABR 18/21 und 1 ABR 16/21) darauf hingewiesen, dass eine nachträgliche Beteiligung des Betriebsrats oder eine nachträgliche Ausschreibung der Stelle während eines laufenden Arbeitsgerichtsverfahrens über die Zustimmungsersetzung nicht möglich ist. Die Maßnahme muss vielmehr zurückgenommen werden, der Arbeitnehmer darf auf dem jeweiligen Arbeitsplatz nicht mehr beschäftigt werden und Ausschreibung bzw. Zustimmungsverfahren müssen erneut eingeleitet werden.

Nur dann ist auch eine vorläufige Durchführung der Maßnahme, also eine vorläufige Stellenbesetzung, nach § 100 BetrVG im Falle einer dringend notwendigen sofortigen Besetzung der Stelle möglich.

Praxistipp: Dass eine mitbestimmungspflichtige Versetzung vorlag, war in den vorgenannten Verfahren nicht streitig. Nicht auf alle Änderungen der Arbeitsaufgabe oder des Arbeitsplatzes trifft das jedoch zu. Gerade bei kontroversen Maßnahmen gegen den Willen des betroffenen Arbeitnehmers sollte daher die Notwendigkeit rechtzeitig geprüft und ggfs. vorsorglich die Zustimmung des Betriebsrates eingeholt werden.

 

Diskriminierung von Aushilfen beim Entgelt

Gleich mehrere aktuelle Urteile des BAG beschäftigen sich mit der Diskriminierung bei der Entgeltzahlung:

Mit Urteil vom 18.1.2023 macht das BAG deutlich, dass auch Aushilfen grundsätzlich Anspruch auf denselben Stundenlohn haben wie Festangestellte (5 AZR 108/22). Allein die Tatsache, dass sie schlechter planbar sind und nur eingesetzt werden, wenn Lücken im Dienstplan gefüllt werden müssen, reicht als Argument für eine unterschiedliche Behandlung nicht aus. Eine Differenzierung ist dagegen insbesondere dann möglich, wenn sich die Aufgaben unterscheiden oder den Festangestellten zusätzliche Verantwortung übertragen wird. Unter welchen Voraussetzungen es ausreichen kann, dass Aufwand und Kosten für den Einsatz von Aushilfen spürbar höher liegen als beim Einsatz der Festangestellten, musste das BAG nicht entscheiden, weil der Arbeitgeber dies nur behauptet, aber nicht näher dargelegt hatte.

Der vom BAG zu entscheidende Streitfall betraf Rettungsassistenten. Da diese unabhängig von ihrer Arbeitszeit und ihrem Status dieselbe Arbeitsleistung erbrachten, gab es keinen sachlichen Grund für eine Schlechterstellung beim Entgelt. Der Arbeitgeber musste daher den geforderten Lohn nachzahlen.

Praxistipp: Wenn Festangestellte eine höhere Vergütung erhalten sollen, muss geprüft werden, ob sie zusätzliche Aufgaben wie Ausbildung, Dokumentation, Qualitätssicherung etc. übernehmen und ob dies als Begründung ausreicht. Allerdings sollte der Arbeitgeber diese Unterschiede dann auch dokumentieren, zum Beispiel in einer Stellenbeschreibung. Allein die Geringfügigkeit der Beschäftigung reicht als Argument nicht aus.

 

Entgeltdiskriminierung von Frauen

Auch die Diskriminierung von Frauen ist nach wie vor häufig Thema der Rechtsprechung. Einem Urteil des BAG vom 16.2.2023, das bisher nur als Pressemitteilung veröffentlicht ist (8 AZR 450/21) lag eine Auseinandersetzung zwischen einem Arbeitgeber und einer Außendienstmitarbeiterin zugrunde, die 3.500,00 € monatlich verdiente, während ihre beiden männlichen Kollegen deutlich mehr erhielten. Eine Ungleichbehandlung lag also offensichtlich vor, zumal der Arbeitgeber kurz zuvor einen Haustarifvertrag geschlossen hatte, aus dem sich für neu eingestellte Außendienstler eine Vergütung von 4.500 € ergab.

Der Arbeitgeber berief sich darauf, dass einer der männlichen Kollegen über ganz erheblich mehr Berufserfahrung verfügte. Dieses Argument reichte dem BAG als sachlicher Grund für die Differenzierung aus. Der andere Kollege habe schlicht besser verhandelt: Er habe erklärt, dass er kündigen werde, wenn sein Gehalt nicht auf 4.500,00 € angehoben wird. Der Arbeitgeber habe sich gezwungen gesehen, dem nachzugeben.

Dass allein ist nach Auffassung des BAG kein Argument. Da der Arbeitgeber keine anderen nachvollziehbaren Gründe benannt hatte, gab das BAG der Außendienstmitarbeiterin recht und bestätigte ihren Anspruch auf dasselbe Gehalt.

Auf den ersten Blick überrascht das Urteil, weil nur drei vergleichbare Arbeitnehmer betroffen sind. Es stellt sich die Frage, wie das Gericht entschieden hätte, wenn der männliche Außendienstler weniger verdient hätte als seine Kollegin, wenn ein älterer Mitarbeiter weniger verdient als der jüngere oder eine Außendienstmitarbeiterin mit Migrationshintergrund weniger als ihre Kollegin ohne Migrationshintergrund. Möglicherweise sprach hier der Tarifvertrag gegen den Arbeitgeber, weil er dokumentierte, dass dieser die Gehälter eben nicht individuell verhandeln, sondern ein System schaffen wollte. Die Entscheidungsgründe sind noch nicht veröffentlicht und werden möglicherweise für mehr Klarheit sorgen.

Nachvollziehbar ist allerdings die Aussage des BAG, dass Verhandlungsgeschick allein kein Argument sein kann. Hätte der Arbeitgeber 20 Außendienstmitarbeiterinnen und -mitarbeiter und würden die männlichen Arbeitnehmer spürbar mehr verdienen, wäre das offensichtlich.

Praxistipp: Arbeitgeber sollten in der Lage sein, Gehaltsunterschiede zwischen Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen, die aufgrund ihrer Arbeit, Verantwortung, Qualifikation und Erfahrung vergleichbar sind, sachlich zu begründen. Wenn das nicht möglich ist, sollte jeder Personalverantwortliche ein Störgefühl haben und das Vorliegen einer etwaig unzulässigen Diskriminierungen überprüfen. Unabhängig von der rechtlichen Beurteilung kann sie den Betriebsfrieden erheblich stören.

 

Arbeitszeiterfassung:

Der Beschluss des BAG vom 13.09.2022 (1 ABR 22/21) ist mittlerweile im Volltext veröffentlicht und auf unserer Homepage besprochen worden. Hier finden Sie den Beitrag.

Inzwischen hat die Politik sich mit der Frage befasst und das MAGS hat einen Referentenentwurf einer Änderung des Arbeitszeitgesetzes vorgelegt. Die anschließende Diskussion hat gezeigt, dass an vielen Stellen noch Klärungsbedarf besteht. Auch wenn klar ist, dass die Einführung eines Zeiterfassungssystems unabdingbar sein wird, sind Einzelheiten, etwa zur Vertrauensarbeitszeit, nach wie vor offen.

 

Hinweisgeberschutzsystem:

Das Gesetz ist am 11./12.2023 in einer geänderten Fassung von Bundestag und Bundesrat verabschiedet worden: Wesentlicher Unterschied zu der letzten Fassung, die auf dem Arbeitsrechtsfrühstück vorgestellt wurde, ist der Verzicht auf eine Verpflichtung, die Abgabe anonymer Meldungen zu ermöglichen. Es wird aber vorgegeben, dass die Stellen auch anonym eingehende Meldungen „bearbeiten sollten“ – eine zweifellos ungewöhnliche Formulierung für ein Gesetz.

Arbeitgeber mit mindestens 50 Beschäftigten müssen nun insbesondere folgende Entscheidungen treffen:

 

  • Personelle Besetzung der Meldestelle: diese erfordert u.a. eine ausreichende persönliche und fachliche Eignung und die Vermeidung von Interessenkonflikten im Hinblick auf andere Aufgaben im Unternehmen; ggfs. durch einen externen Beauftragten
  • Sicherstellung einer ausreichenden Vertretung, um Fristprobleme zu vermeiden
  • Auswahl der Kommunikationswege und der Technik
  • Kommunikation der Meldestelle im Unternehmen, ggfs. Einführung eines Verhaltenskodex und von Meldepflichten
  • Evtl. Öffnung der Meldestelle für Dritte über die Beschäftigten hinaus
  • Das Verhältnis der Meldestelle zu sonstigen Beauftragten, u.a. dem AGG-Beauftragten, Datenschutzbeauftragten, Zuständigen gem. Lieferkettensorgfaltsgesetz etc.
  • Einbeziehung des Betriebsrates/ Personalrates/ Mitarbeitervertretung

 

Der Betriebsrat hat insbesondere ein Recht auf Mitbestimmung hinsichtlich technischer Meldewege, Einführung von Verhaltenspflichten und ggfs. einer Versetzung des künftigen Beauftragten. Zudem sollte er frühzeitig unterrichtet und in die Kommunikation einbezogen werden.

Auch wenn die Pflicht, anonyme Meldewege vorzusehen, entfallen ist, sollten sie ernsthaft in Erwägung gezogen werden: die Hemmschwelle, Rechtsverstöße zu melden, kann dadurch deutlich gemindert werden und es liegt im Interesse jeder Führungskraft, von etwaigen Missständen frühzeitig zu erfahren, um sie abstellen zu können und Schäden zu vermeiden.

Zudem „sollen“ auch nach dem derzeitigen Verhandlungsstand anonyme Meldungen bearbeitet werden. Was entfällt, ist damit nur die Pflicht, einen anonymen Kommunikationskanal anzubieten. Ohne diesen Kanal sind aber Rückfragen kaum möglich, so dass auch die Bearbeitung erschwert ist, auch wenn die Meldung an sich glaubwürdig ist.

Arbeitgeber ab 50 Mitarbeitern müssen den Meldekanal erst ab dem 17. Dezember 2023 eröffnen; da die Mitbestimmung des Betriebsrates Zeit kostet, sollten auch sie sich also nunmehr um die nächsten Schritte kümmern, wenn das noch nicht geschehen ist.

 

Nachweisgesetz: Folge des unterlassenen Hinweises auf Ausschlussfristen

Nach dem Nachweisgesetz, das zum 01.10.2022 deutlich verschärft wurde, muss auch auf Ausschlussfristen hingewiesen werden. Unterbleibt dieser Hinweis, dann schuldet der Arbeitgeber Schadenersatz, so dass der Arbeitnehmer in der Regel so gestellt wird, als ob er die Frist beachtet hätte. Das BAG hat nunmehr (22.09.2022 - 8 AZR 4/21) entschieden, dass kein Schadenersatz geschuldet wird, wenn der Arbeitnehmer seinen Anspruch auch bei Kenntnis der Nachweispflicht nicht beachtet hätte, weil er diesen Anspruch gar nicht kannte. Der klagende Arbeitnehmer hatte erklärt, erst nach 13 Jahren erkannt zu haben, dass er zu niedrig eingruppiert war, und verlangte die Nachzahlung der Gehaltsdifferenz für diese 13 Jahre.

Damit hatte er keinen Erfolg, weil er die bessere Eingruppierung auch dann nicht früher geltend gemacht hätte, wenn er die Ausschlussfrist gekannt hätte.

 

Praxishinweis:

Grundsätzlich muss die Ausschlussfrist im Vertrag ausdrücklich genannt werden. Für Ausschlussfristen in Tarifverträgen (nicht in Arbeitsrechtsregelungen der Kirchen oder von Verbänden!) reichte dem BAG bisher die Inbezugnahme des Tarifvertrages aus, wenn dieser im Unternehmen eingesehen werden konnte. In einem Urteil vom 30.10.2019 – (6 AZR 465/18) hat das BAG allerdings darauf hingewiesen, dass diese Rechtsprechung kritisiert werde. Da nicht auszuschließen ist, dass sie in der Zukunft geändert wird, sollten auch Arbeitsverträge, die einen Tarifvertrag in Bezug nehmen, einen ausdrücklichen Hinweis auf die tariflichen Ausschlussfristen enthalten.

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