Architektenrecht

Der „ruinöse“ Preiswettbewerb ist eröffnet!

Fachbeitrag
Immobilienwirtschaftsrecht

Mit unseren Updates von November 2016, Oktober 2017 sowie Januar und April 2019 hatten wir bereits über den jeweiligen Stand des beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) zwischen der EU-Kommission und der Bundesrepublik Deutschland (BRD) anhängigen Vertragsverletzungsverfahrens betreffend die Mindest- und Höchstsätze der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) berichtet. Der mögliche Ausgang des Verfahrens und die daraus für die Baupraxis resultierenden Konsequenzen standen zudem Ende Mai auf der Agenda unseres diesjährigen Immobilienrechtsfrühstücks.

Das Vertragsverletzungsverfahren hat nun sein Ende gefunden.

Der EuGH hat mit Urteil vom 04.07.2019 (Rs. C-377/17) festgestellt, dass die BRD gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 15 der Richtlinie 2006/123/EG (sogenannte Dienstleistungsrichtlinie) verstößt, indem sie durch die HOAI verbindliche Honorare vorgibt.

Das verbindliche Preisrecht der HOAI war vom deutschen Gesetzgeber vor über 40 Jahren geschaffen worden, u.a. um einen „ruinösen Preiswettbewerb“ zwischen Anbietern von Architekten- und Ingenieurleistungen zu verhindern und damit die Qualität dieser Leistungen zu gewährleisten.

Genau mit diesem Argument hatte sich die BRD im Rahmen des Vertragsverletzungsverfahrens – untermauert durch Vorlage verschiedener Gutachten – verteidigt und zudem den Verbraucherschutz für sich ins Feld geführt. Dieser Argumentation ist der EuGH im Ergebnis nicht gefolgt. Das Gericht sieht in der deutschen Preisbindung ein unzulässiges Wettbewerbshindernis. In ihrem Urteil führen die Luxemburger Richter aus, dass die BRD durch das verbindliche Preisrecht der HOAI gegen die durch die Dienstleistungsrichtlinie geschützte Niederlassungsfreiheit verstoße.

Die Dienstleistungsrichtlinie soll den freien Dienstleistungsverkehr in der EU sicherstellen. Anbieter aus anderen Mitgliedsstaaten sollen nicht gehindert sein, sich durch Preiswettbewerb Zugang zu einem Markt zu verschaffen. Danach sind Mindest- und Höchstpreise grundsätzlich nicht zulässig und bedürfen einer besonderen Rechtfertigung. Sie dürfen daher von den Mitgliedsstaaten nur unter bestimmten Voraussetzungen vorgeschrieben werden.

Diese Voraussetzungen sieht der EuGH bei der deutschen HOAI als nicht erfüllt an. Zwar folgt das Gericht der Argumentation der BRD noch insoweit, dass die Mindestsätze grundsätzlich dazu beitragen können, eine hohe Qualität der Architekten- und Ingenieurleistungen zu gewährleisten und somit das von dem Preisrecht der HOAI verfolgte Ziel zu erreichen. Die Mindestsätze seien aber zur Qualitätssicherung letztlich deswegen nicht geeignet, weil diese nicht nur für Architekten und Ingenieure gelten. Vielmehr könnten in Deutschland entsprechende Leistungen auch von anderen Dienstleistern erbracht werden, die ihre fachliche Eignung nicht nachweisen müssten. Dies lasse eine Inkohärenz in der deutschen Regelung erkennen. Die Höchstsätze seien unverhältnismäßig, da weniger einschneidende Maßnahmen in Betracht kämen, um das verfolgte Ziel zu erreichen. So habe die BRD nicht nachgewiesen, weshalb es – wie von der EU-Kommission vorgeschlagen – nicht ausreichend sein sollte, Kunden Preisorientierungen für die in der HOAI genannten Kategorien von Leistungen zur Verfügung zu stellen, um den Verbraucherschutz zu sichern.

Das Urteil ist unanfechtbar.

Ein Rechtsmittel ist nicht gegeben. Die BRD ist nunmehr gehalten, den vom EuGH festgestellten Verstoß gegen EU-Recht abzustellen und eine unionsrechtskonforme Neuregelung zu schaffen. Ein erstes Gespräch zu den Folgen des Urteils des EuGH, insbesondere zu dem sich daraus ergebenden Anpassungsbedarf für die HOAI hat bereits am 17.07.2019 im Bundeswirtschaftsministerium unter Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände stattgefunden. Ein „Plan B“ existiert offenbar schon seit einiger Zeit.

Das Urteil des EuGH wird danach aller Voraussicht nach nicht zu einer Abschaffung der HOAI insgesamt führen. Von dem Richterspruch betroffen ist nicht die gesamte HOAI, sondern lediglich das darin enthaltene verbindliche Preisrecht, also die Vorgabe von Mindest- und Höchstsätzen für bestimmte Architekten- und Ingenieurleistungen. Dem Vernehmen nach besteht Einigkeit zwischen den zuständigen Bundesministerien, der Bundesarchitekten- und der Bundesingenieurkammer sowie dem Ausschuss der Verbände und Kammern der Ingenieure und Architekten für die Honorarordnung e.V. (AHO), dass die HOAI als Rechtsverordnung erhalten bleiben soll, und zwar dergestalt, dass neben den Leistungsbildern auch die Honorartafeln zur – unverbindlichen – Preisorientierung fortgeführt werden sollen. Eine teilweise Deregulierung hatte bereits bei Inkrafttreten der HOAI 2009 stattgefunden als zahlreiche (Beratungs-) Leistungen aus dem verbindlichen Preisrecht in die unverbindlichen Anlagen zur HOAI „verschoben“ wurden und seitdem lediglich noch einen Empfehlungscharakter für die Vergütung dieser Leistungen aufweisen.

Auswirkungen auf bereits abgeschlossene Verträge über Architekten- und Ingenieurleistungen dürfte das Urteil des EuGH nicht haben. Bestehende Honorarvereinbarungen bleiben wirksam. Dies gilt angesichts der herrschenden Privatautonomie auch dann, wenn die Vertragsparteien das vereinbarte Honorar unter Bezugnahme auf die HOAI festgelegt, d.h. nach den Honorarermittlungsparametern der HOAI berechnet haben.

Wenn Honorare unterhalb der Mindestsätze oder oberhalb der Höchstsätze vereinbart wurden, dürfte eine Honoraranpassung nicht mehr verlangt werden können, d.h. insbesondere die sogenannte „Aufstockungsklage“ auf den Mindestsatz dürfte für Architekten und Ingenieure passé sein. Umgekehrt fällt das bisher für Auftraggeber über einer Honorarvereinbarung unterhalb des Mindestsatzes „schwebende Damoklesschwert“ weg, wenn das Mindestsatzhonorar vom Architekten bzw. Ingenieur ab sofort nicht mehr nachgefordert werden kann. Zwar ist es denkbar, dass auch Auftraggeber nunmehr versuchen könnten, nachträglich eine Reduzierung eines innerhalb des preislichen Rahmens der HOAI vereinbarten Honorars zu verlangen. Die gesetzlichen Anforderungen für einen solchen Anspruch auf Anpassung der Vergütung sind allerdings derart hoch, dass eine gerichtliche Durchsetzung Auftraggebern kaum gelingen dürfte.

Bei künftig abzuschließenden Architekten- und Ingenieurverträgen können die Parteien das Honorar nunmehr frei vereinbaren, insbesondere eine – wirksame – Honorarvereinbarung treffen, die den bisher geltenden Mindestsatz unterschreitet oder über dem bisher maßgeblichen Höchstsatz liegt. Es steht den Vertragsparteien künftig ebenso frei, weiterhin ein an der HOAI orientiertes Honorar zu vereinbaren, also beispielsweise den Mindestsatz. All das Vorstehende dürfte ab sofort gelten, also nicht erst ab dem Zeitpunkt, an dem der deutsche Gesetzgeber auf das Urteil des EuGH reagiert und die Preisbindung der HOAI abgeschafft hat.

Das in der Dienstleistungsrichtlinie normierte Verbot, Mindest- und Höchstpreise vorzuschreiben, ist nach allerdings nicht ganz unumstrittener Ansicht juristischer Experten auch ohne einen entsprechenden Umsetzungsakt des nationalen Gesetzgebers zu beachten, und zwar nicht nur von dem betroffenen Mitgliedsstaat und seinen Behörden selbst, sondern entfaltet auch unmittelbare Wirkung zwischen Privaten. Der Honorarvereinbarung und damit zugleich der Honorarkalkulation wird nach dem nunmehrigen Ende der Preisbindung eine wesentlich größere Bedeutung zukommen. Konnten Architekten und Ingenieure sich bisher in die „HOAI-Hängematte“ begeben, sich also darauf verlassen, dass sie auch ohne getroffene Honorarvereinbarung den in der Regel auskömmlichen Mindestsatz abrechnen können, müssen sie ihre Honorarangebote ab sofort sorgfältig kalkulieren und sich mehr oder weniger harten Preisverhandlungen mit ihren Auftraggebern stellen, spätestens dann, wenn der Boom auf dem Bausektor zurückgehen sollte.

Auch die öffentliche Hand wird sowohl für bereits laufende als auch bei künftigen Vergabeverfahren „umzudenken“ haben. Bei öffentlichen Vergaben dürfen Angebote nicht mehr ohne weiteres ausgeschlossen werden, wenn das Honorar unter dem bisherigen Mindestsatz liegt, ebenso sind Angebote zuzulassen, die den bisherigen Höchstsatz überschreiten.

In einem Informationsschreiben vom 04.07.2019 hat das Bundeswirtschaftsministerium die öffentlichen Stellen schon dazu aufgerufen, in Vergabeverfahren ab sofort entsprechend vorzugehen und die vom EuGH für europarechtswidrig erklärten Regelungen der HOAI nicht mehr anzuwenden.

Für die Vergabestelle eröffnet das Urteil des EuGH eine größere Flexibilität im Hinblick auf die Preisgestaltung. So dürfte es zukünftig beispielsweise weiterhin zulässig sein, ein nach den Parametern der HOAI zu berechnendes Honorar vorzugeben und dem Bieter die Möglichkeit einzuräumen, frei kalkulierbare Abschläge von den Mindestsätzen oder Zuschläge zu den Höchstsätzen vorzunehmen. Bei demnächst anstehenden öffentlichen Vergabeverfahren könnte es ebenso sinnvoll sein, vermehrt Pauschalhonorarangebote abzurufen. Entscheidend wird sein, dass die öffentlichen Auftraggeber die neuen Spielräume nutzen, um auch weiterhin eine hohe Qualität von Architekten- und Ingenieurleistungen sicherzustellen.

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