Bis vor wenigen Jahren war in der Folge im Bußgeldverfahren die sog. „Wurstlücke“ unter Kartellanten sehr beliebt. Sobald ein Unternehmen einen solchen Bescheid wegen eines Kartellverstoßes erhielt, wurde der Konzern intern umstrukturiert und das betroffene Unternehmen aufgelöst. Da im Deliktsrecht grundsätzlich nur die (juristische) Person für den Schaden haftbar gemacht werden kann, die den Gesetzesverstoß begangen hat, entfiel auf diese Weise der Anspruchsgegner und die Behörde konnte das Bußgeld nicht eintreiben. Der Vorgang spielte sich im Zusammenhang mit einem Kartell von Wurstherstellern aus dem Jahr 2014 ab, woraus die Bezeichnung der Haftungslücke resultierte. Die Wurst-Kartellanten sparten auf diesem Wege Bußgelder in Höhe von 128 Mio. EUR. Dieses Schlupfloch wurde im Rahmen der 9. GWB-Novelle im Jahr 2017 durch den Gesetzgeber geschlossen. § 81 Abs. 3a GWB sieht nunmehr eine Haftung des Konzerns und § 81 Abs. 3e GWB eine Haftung des Rechtsnachfolgers für Kartellrechtsverstöße im Bußgeldverfahren vor.
Die neue EuGH Entscheidung
Für private Schadensersatzklagen wurde eine derartige Nachfolgehaftung bislang nicht kodifiziert. In einem aktuellen Urteil hat der EuGH nun festgelegt, dass der Rechtsnachfolger eines Kartellanten grundsätzlich auch auf dem privaten Schadensersatzweg für den Wettbewerbsverstoß des Rechtsvorgängers in Anspruch genommen werden kann.
Dem Urteil lag ein Sachverhalt aus Finnland zugrunde. Sieben Unternehmen betrieben dort über Jahre hinweg das sog. Asphaltkartell. Um einer Buße zu entgehen, wurden daraufhin drei dieser Unternehmen liquidiert und der Geschäftsbetrieb von neuen Gesellschaften fortgeführt. Genau wie in Deutschland sieht das finnische Recht eine Haftung des Rechtsnachfolgers nur für den Bußgeldbescheid, nicht jedoch für die private Schadensersatzklage vor. Dennoch verlangten die Kläger Schadensersatz von den Rechtsnachfolgern. Das zuständige Gericht der ersten Instanz bejahte den Anspruch und wandte auch hier, genau wie im Bußgeldverfahren, die Grundsätze der „wirtschaftlichen Kontinuität“ an. Anlass waren insbesondere Bestrebungen, den privaten Rechtsschutz aufgrund des europäischen Effektivitätsgrundsatzes (effet utile) nicht unmöglich werden zu lassen. Das Berufungsgericht sah dies anders. Der effet utile könne nicht die nationalen Wertungen gesetzlicher Schuldverhältnisse verdrängen. Diesen zufolge haften nur die Personen, die den Schaden auch verursacht haben. Der finnische Supreme Court legte daraufhin dem EuGH Fragen im Wege des Vorlageverfahrens vor.
Der EuGH schloss sich dem erstinstanzlichen Gericht an und knüpfte dies dogmatisch an Art. 101 AEUV, aus dem direkt die Passivlegitimation der beklagten Unternehmen abzuleiten sei – und eben nicht aus dem nationalen Recht, was in Finnland ein anderes Ergebnis zur Folge hätte. Das Prinzip der wirtschaftlichen Kontinuität sei somit auf den Kartellschadensersatz zu übertragen. Die Durchsetzung des EU-Kartellrechts werde so gestärkt. Auch die europäische Schadensersatzrichtlinie aus dem Jahr 2014 stehe diesem Ergebnis nicht entgegen. Dort sei lediglich die Aufteilung der Haftung der Ersatzpflichtigen den innerstaatlichen Rechtsordnungen zugewiesen, jedoch nicht die Bestimmung des Ersatzpflichtigen an sich. Der Begriff „Unternehmen“ sei als autonomer Begriff des Unternehmens im Bußgeld- und Schadensersatzrecht gleich auszulegen.