Sachverhalt
Gegenstand der Entscheidung war die europaweite Vergabe von Reinigungsdienstleistungen. Die Bieter sollten dabei im Rahmen ihrer Angebote den für die Reinigung kalkulierten Zeitbedarf angeben. Weil die Zeitbedarfsangaben von der Bieterin B teilweise den in den Vergabeunterlagen vorgegebenen Mindest-Aufwandswert unterschritten, erläuterte diese sowohl im Angebotsbegleitschreiben, als auch im Rahmen eines späteren Aufklärungsschreibens, wie die Zeitersparnis bei gleichbleibender Qualität erreicht werden konnte. Die Auftraggeberin erachtete die Erläuterungen der B als ausreichend.
Da die Bieterin B somit insgesamt deutlich weniger Reinigungsstunden als die Bieterin A kalkulierte und somit ein günstigeres Angebot abgab, beabsichtigte die Auftraggeberin, der Bieterin B den Zuschlag auf ihr Angebot zu erteilen. A rügte daraufhin den angebotenen Preis der B als unangemessen niedrig.
Im Rahmen des durch die Bieterin A eingeleiteten Nachprüfungsverfahrens entschied die Vergabekammer, dass das Angebot von B auszuschließen sei. Die Vergabekammer nahm von Amts wegen den Ausschlusstatbestand des § 57 Abs. 1 Nr. 2 VgV an. Zudem sei das Angebot der B wegen Unauskömmlichkeit gem. § 60 VgV auszuschließen (VK Rheinland, Beschluss vom 25.02.2019, VK D – 09/2017-L/Z).
Gegen die Entscheidung der Vergabekammer Rheinland wandte sich die Antragstellerin mit der sofortigen Beschwerde an das OLG Düsseldorf.
Entscheidung
Das OLG Düsseldorf hat auf die sofortige Beschwerde der Bieterin B den Beschluss der Vergabekammer aufgehoben, da die von der Vergabekammer angenommenen Ausschlusstatbestände nicht vorliegen.
Die Vergabekammer hatte insbesondere keinen Anlass, den Verstoß gegen § 57 Abs. 1 Nr. 2 VgV i.V.m. § 56 Abs. 3 S. 1 VGV von Amts wegen aufzugreifen, da weder die Voraussetzungen für ein Tätigwerden von Amts wegen noch der von der 6 Vergabekammer angenommene Verstoß selbst vorliegen. Ein Aufgreifen von Amts wegen kommt nur dann in Betracht, wenn der angenommene Verstoß schwerwiegend und offenkundig ist. Die Vergabekammer kam jedoch erst nach umfangreicher Auslegung zu dem Entschluss, dass die Angaben von B nicht den Anforderungen der Auftraggeberin genügen würden. Erst in einem zweiten Reflexionsschritt kam die Vergabekammer (fälschlicherweise!) zu dem Ergebnis, dass die unzureichenden Angaben im Angebotsbegleitschreiben einer nicht vorgelegten Unterlage i.S.d. § 57 Abs. 1 Nr. 2 VgV gleichkämen. Insofern fehlte es bereits an der Offenkundigkeit.
In diesem Zusammenhang hat das OLG Düsseldorf festgestellt, dass eine inhaltlich unzureichende Unterlage nicht mit einer fehlenden gleichgesetzt werden kann. § 57 Abs. 1 Nr. 2 VgV kann sich lediglich auf das körperliche Fehlen von geforderten Unterlagen beziehen. Dagegen genügt es nicht, wenn die geforderten Unterlagen vorhanden, jedoch inhaltlich unzureichend sind. Zudem genügen die Informationen aus dem Angebotsbegleitschreiben von B den inhaltlichen Anforderungen der Auftraggeberin.
Einen Verstoß gegen § 60 VgV hat das OLG Düsseldorf ebenfalls verneint. Zwar besteht eine Prüfpflicht i.S.d. § 60 Abs. 1 VgV, wenn der Abstand zwischen dem Angebot des bestplatzierten und dem des zweitplatzierten Bieters – wie im vorliegenden Fall – mehr als 20% beträgt (vgl. BGH, Beschluss vom 31.01.2017, X ZB 10/16). Die Auftraggeberin hat jedoch die gebotenen Aufklärungsschritte unternommen und die Anforderungen, die § 60 Abs. 2 VGV an die Überprüfung der Auskömmlichkeit stellt, erfüllt.
Die Anforderungen an den für die Entscheidung des § 60 Abs. 3 S. 1 VgV zu erreichenden Grad der Erkenntnissicherheit sind durch den Grundsatz der Zumutbarkeit begrenzt, sodass vorliegend die Auftraggeberin den Vorgaben des § 60 Abs. 2 VgV nachgekommen ist. Hierzu weist der erkennende Senat darauf hin, dass die Auftraggeberin grundsätzlich auf die Richtigkeit der Angaben durch B vertrauen durfte.