Medizinrecht
KEINE NEUE STÖROPTION IM NACHBESETZUNGSVERFAHREN
Die Nachbesetzung von Kassenarztsitzen ist einer der streitanfälligsten Bereiche des Vertragsarztrechts. Dies ist vor dem Hintergrund verständlich, dass in vielen Fällen nur die Zulassung zur kassenärztlichen Versorgung Ärzten die Möglichkeit zur einer selbständigen Tätigkeit bietet, welche in zulassungsbeschränkten Gebieten praktisch nur über eine Nachbesetzung erlangt werden kann. Aus diesem Grunde wird hierum häufig besonders leidenschaftlich gekämpft.
Erleichterung der Nachbesetzung durch Zusammenschluss von Ärzten
Eine zentrale Rolle nehmen hierbei Berufsausübungsgemeinschaften ein. Diese Tatsache ist dem Umstand geschuldet, dass im Falle der Nachbesetzung von Vertragsarztsitzen in Berufsausübungsgemeinschaften der oder die verbleibenden Partner ein erhebliches Mitspracherecht haben. In der Praxis wird daher regelmäßig derjenige Kandidat ausgewählt, den die verbleibenden Partner bevorzugen. Vor diesem Hintergrund kommt es häufig vor, dass Berufsausübungsgemeinschaften nur zu dem Zweck gegründet werden, die Nachbesetzung durch einen bevorzugten Kandidaten zu erreichen.
Mit einem solchen Fall hatte sich nunmehr das Bundessozialgericht (Urteil vom 22.10.2014, Aktenzeichen B 6 KA 43/13 R) zu beschäftigen. In diesem Fall ging es um einen niedergelassenen Urologen, der für seine Praxis einen Nachfolger suchte. Als Nachfolger war offensichtlich Dr. K. auserkoren. Um eine Auswahl des Dr. K. sicherzustellen, gründete Dr. E. daher eine Berufsausübungsgemeinschaft mit einem anderen Arzt. Am gleichen Tag schloss er einen Vertrag, nach dem er sich zur Ausschreibung und Übertragung seines Sitzes auf Dr. K. verpflichtete.
Genehmigungserfordernis für Gemeinschaftspraxen
Die Gründung einer Berufsausübungsgemeinschaft bedarf der Genehmigung durch den Zulassungsausschuss. Im Rahmen des Genehmigungsverfahrens ist zu berücksichtigen, ob Belange der Versicherten der Berufsausübungsgemeinschaft entgegenstehen. Dies wurde vorliegend durch den Zulassungsausschuss verneint und die Genehmigung erteilt.
Auf den Kassenarztsitz des Dr. E. bewarben sich 4 Ärzte, darunter auch Dr. K. Der Zulassungsausschuss wählte vor dem Hintergrund der bestehenden Berufsausübungsgemeinschaft Dr. K. als Nachfolger aus, die übrigen 3 Bewerber wurden abgelehnt.
Einer der Bewerber wollte sich hiermit nicht abfinden und erhob zunächst erfolglos Klage gegen seine Ablehnung. Daneben erhob er ebenfalls Widerspruch und anschließend Klage gegen die Genehmigung der Berufsausübungsgemeinschaft. Er argumentierte insoweit, durch die Genehmigung der Berufsausübungsgemeinschaft seien seine Chancen auf Nachbesetzung gegenüber Dr. K. deutlich geschmälert worden. Die Berufsausübungsgemeinschaft sei offensichtlich nur gegründet worden um eine Nachbesetzung durch Dr. K. zu ermöglichen und sei daher rechtswidrig.
Anfechtungsmöglichkeiten der Genehmigung durch Konkurrenten
Das Bundessozialgericht wies die Klage des Konkurrenten ab. Es stellte hierzu fest, dass die Klage bereits unzulässig sei, da es an einer Anfechtungsbefugnis des Konkurrenten fehle.
Das Bundessozialgericht stellte zunächst ausdrücklich klar, dass sog. Popularklagen unzulässig sind, mit denen ein Dritter allgemein die rechtliche Prüfung eines bestimmten Vorgangs begehrt. Eine Klage setzt stets voraus, dass der Kläger eine Verletzung seiner Rechte geltend macht. Im konkreten Fall war das Bundessozialgericht der Auffassung, dass der Kläger unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt in seinen Rechten verletzt worden sein könne. Zwar sei es zutreffend, dass durch die Genehmigung der Berufsausübungsgemeinschaft abstrakt die Chancen des Klägers auf Nachbesetzung gemindert wurden. Allerdings stellten tatsächliche Chancen auf eine Nachbesetzung keine gesicherte Rechtsposition dar. Selbst wenn die Berufsausübungsgemeinschaft ausschließlich zur Ermöglichung einer Nachbesetzung mit Dr. K. gegründet worden sei, folge hieraus keine Rechtsverletzung des Konkurrenten. Anfechtungsbefugt seien insoweit nur die an der Berufsausübungsgemeinschaft beteiligten Ärzte.
Das Bundessozialgericht stellte ausdrücklich klar, dass bereits die alleinige Eröffnung einer Klagebefugnis Dritter im Falle der Genehmigung von Berufsausübungsgemeinschaften die Vertragsfreiheit der beteiligten Ärzte erheblich einschränke. Würde eine solche Klagebefugnis zugelassen, sei zu befürchten, dass jede Gründung einer Berufsausübungsgemeinschaft durch Konkurrentenklagen torpediert werde.
Folgen für die Praxis
Die Entscheidung hat ganz erhebliche praktische Relevanz, da die Bejahung einer Klagebefugnis zugunsten von Dritten, wie das Bundessozialgericht richtig feststellt, bedeutet hätte, dass bei jeder Gründung von Berufsausübungsgemeinschaften mit Rechtsmitteln Dritter hätte gerechnet werden müssen. Dies hätte die Gründung von Berufsausübungsgemeinschaften praktisch deutlich erschwert. Daneben bedeutet die Entscheidung, dass die Gründung einer Berufsausübungsgemeinschaft kurz vor Ausschreibung eines Praxissitzes nach wie vor eine u.U. gangbare Option im Rahmen eines Nachbesetzungsverfahrens darstellt. Allerdings ist insoweit eine gewisse Vorsicht dahingehend geboten, dass auch im Falle von Berufsausübungsgemeinschaften die Nachbesetzung durch den Kandidaten der Wahl nicht garantiert ist. Es ist durchaus möglich, dass der Zulassungsausschuss trotz Berücksichtigung der Interessen der verbliebenen Partner gerade bei einer erst sehr kurze Zeit bestehenden Berufsausübungsgemeinschaft zu dem Ergebnis gelangt, ein anderer Bewerber verdiene trotzdem den Vorrang. Auch wäre es denkbar, dass der Zulassungsausschuss der neu zu gründenden Berufsausübungsgemeinschaft die Genehmigung mit Erfolg versagt.
Markus Winnacker, LL.M.
WAHLLEISTUNGEN – NEUE VERTRÄGE UND ALTE RISIKEN
Wahlleistungen haben in Krankenhäusern seit jeher eine herausragende Bedeutung. Neben Leistungen des Krankenhausträgers wie der Unterbringung in Zwei- oder Einbettzimmern gehört hierzu regelmäßig auch die Inanspruchnahme eines Wahlarztes, in der Praxis des Chefarztes oder seines Vertreters. Um die Erbringung von Wahlleistungen dreht sich seit Jahren eine Reihe von Entscheidungen, Fallstricke liegen zuhauf aus. Nunmehr hat sich das Landgericht München I in einem Urteil vom 02.04.2015 (Aktenzeichen 9 S 7449/14) mit einem bisher relativ wenig beachteten Komplex beschäftigt.
Vertragsgestaltungen mit dem Chefarzt
In der Praxis ist bei der Liquidation wahlärztlicher Leistungen zwischen zwei Konzepten zu unterscheiden. In der Vergangenheit war es allgemein üblich, dass dem Chefarzt im Rahmen seines Anstellungsvertrages ein eigenes Liquidationsrecht gegenüber den Patienten eingeräumt wurde. Der Chefarzt war somit alleiniger Leistungserbringer und Gläubiger der durch den Patienten geschuldeten Vergütung. Im Innenverhältnis zum Krankenhausträger erfolgte durch den Chefarzt die Zahlung einer Umlage.
Nunmehr setzt sich in der Praxis immer mehr die Variante durch, dass dem Chefarzt kein eigenständiges Liquidationsrecht eingeräumt wird. Liquidationsberechtigt ist in diesem Fall einzig der Krankenhausträger, der die wahlärztlichen Leistungen gegenüber den Patienten abrechnet. Der Chefarzt erhält eine Beteiligung an den erzielten Umsätzen. Es läuft also im Grunde genau umgekehrt wie bisher.
Gerichtsentscheidung zu Rechnungsstellung
Im Fall des Landgerichts München I war die klagende Krankenkasse der Auffassung, dass der bei ihr versicherten Patientin Leistungen zu Unrecht in Rechnung gestellt wurden, sodass sie die hierauf bereits geleisteten Zahlungen von dem Chefarzt zurückforderte. Hierbei lag die Besonderheit vor, dass dem Chefarzt nach seinem Anstellungsvertrag kein eigenes Liquidationsrecht eingeräumt worden war, dementsprechend erfolgte die Abrechnung der Leistungen auch ausschließlich durch den Krankenhausträger, auf dessen Konto auch die Zahlung erfolgte. Dies deckte sich jedoch nicht mit dem mit der Patientin mittels eines Formulars abgeschlossenen Wahlleistungsvertrages. Hierin war vermerkt, die wahlärztliche Leistungserbringung erfolge aufgrund eines gesonderten Behandlungsvertrages mit dem Wahlarzt. Der Klinikträger sei in diesem Fall lediglich Vertragspartner für die Unterbringung, Verpflegung und pflegerische Betreuung, er hafte nicht für die Leistungserbringung oder Schäden, die im Zusammenhang mit dem Behandlungsvertrag mit den Wahlärzten entstehen. Die wahlärztlichen Leistungen würden nach Maßgabe der ärztlichen Gebührenordnung abgerechnet.
Das Landgericht München wies die Klage auf Rückzahlung des Honorars ab, da der Beklagte Chefarzt nicht Leistungsempfänger gewesen sei. Aufgrund des fehlenden Liquidationsrechtes und mangels einer eigenen Vertragserklärung des Chefarztes sei ein Behandlungsvertrag mit diesem nicht zustande gekommen, insbesondere hätten die Mitarbeiter des Krankenhausträgers, die den Vertrag mit der Patientin geschlossen haben, nicht in Vollmacht des Chefarztes gehandelt.
In diesem Zusammenhang stellte das Landgericht München I klar, dass nach den einschlägigen berufsrechtlichen Vorschriften im Falle von Krankenhausleistungen originär der Krankenhausträger zur Abrechnung auch von Wahlleistungen berechtigt sei. Zwar sei es zulässig, dass dem Chefarzt ein eigenes Liquidationsrecht eingeräumt würde, dies sei jedoch nicht der Regelfall.
Folgen für die Praxis
Die Entscheidung ist für zwei Themenkomplexe relevant. Zum einen beschäftigt sie sich mit der Frage des Liquidationsrechtes von wahlärztlichen Leistungen. Hierbei geht das Gericht davon aus, dass der Krankenhausträger selbst bezüglich erbrachter Wahlleistungen liquidationsberechtigt ist. Diese Klarstellung ist für die Praxis von großer Relevanz, da ansonsten de facto die meisten neueren Chefarztverträge hinfällig wären und im Extremfall sämtliche Patienten ihre gezahlten Wahlleistungen mangels entsprechender Vertragsgrundlage zurückfordern könnten. Die Folgen wären in diesem Fall praktisch unüberschaubar.
Der zweite Themenkomplex ist das Zustandekommen des Vertrages im konkreten Falle sowie die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung der ggf. zu viel gezahlten Leistung. Insoweit mag es auf den ersten Blick unkritisch erscheinen, dass das Gericht aufgrund der Zahlung an den Krankenhausträger und einer fehlenden Vertragsgrundlage zwischen Chefarzt und Patientin einen Bereicherungsanspruch gegen den Chefarzt abgelehnt hat. Hierdurch wird jedoch ein anderes Problem offensichtlich. Nachdem kein Vertrag zwischen der Patientin und dem Chefarzt zustande gekommen ist, stellt sich die Frage, ob denn ein solcher zwischen dem Krankenhausträger und der Patientin geschlossen wurde. Dies wird man vorliegend wohl verneinen müssen, da in dem verwendeten Formular ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass zwischen Krankenhausträger und Patient kein solcher Vertrag geschlossen wird, sondern dieser einer gesonderten Vereinbarung zwischen dem Chefarzt und den Patienten vorbehalten ist. Dies wird in der Praxis bedeuten, dass die Rückforderungsklage der Patientin gegen den Krankenhausträger voraussichtlich nicht nur in Höhe etwaig nicht erbrachter abgerechneter Leistungen begründet ist, sondern bezüglich des gesamten Wahlleistungsaufschlages. Wird die Erbringung von Wahlleistungen nicht explizit vereinbart, kann auch deren Vergütung nicht verlangt werden.
Dieser Fall zeigt, dass Krankenhausträger unbedingt den Vertragsstatus ihrer Chefärzte mit den von Ihnen verwendeten Formularen abgleichen müssen. Wurden mit neu eingestellten Chefärzten Verträge geschlossen, die kein Liquidationsrecht mehr vorsehen, sind etwaig zuvor verwendete Formulare unbedingt anzupassen. Ggf. ist es sogar erforderlich, in Fällen in denen nur einzelne Chefärzte liquidationsbefugt sind, dies in den verwendeten Formularen aufzuschlüsseln. Wünschenswert wäre es insoweit sicherlich, dass ein Krankenhausträger jeweils die bestehenden Chefarztverträge bezüglich des Liquidationsrechts harmonisiert, doch dürfte dies in vielen Fällen am Widerstand der bisher liquidationsbefugten Chefärzte scheitern.
Markus Winnacker, LL.M.
In den einzelnen Beiträgen können die angesprochenen Themen nur schlagwortartig und in gedrängter Kürze dargestellt werden. Die Lektüre ersetzt also in keinem Fall eine gründliche Rechtsberatung! Sollten Sie feststellen, daß Sie im Einzelfall Beratungs- oder Handlungsbedarf haben, so bitten wir Sie, Ihren vertrauten Anwalt bei AULINGER Rechtsanwälte anzusprechen oder sich an eines unserer Büros in Bochum oder Essen zu wenden.
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Redaktion: Dr. Markus Haggeney / Dr. Marco Krenzer